Grundlagen der Therapie mit Schilddrüsenhormonen, Teil 2: Therapiekontrolle

Während der Behandlung mit Schilddrüsenhormonen kann es zu verschiedenen Problemen kommen, die unter Umständen eine Dosisanpassung oder eine Präparatewechsel erforderlich machen.

Therapie schlägt nicht an?

Wenn eine Behandlung mit Schilddrüsenhormonen nicht den gewünschten Erfolg zeigt, vermuten Ärzte oft vorschnell, dass die Patienten ihre Tabletten nicht regelmäßig einnehmen. Doch es kann auch andere Ursachen geben. So zeigte eine 2006 durchgeführte Studie an der Universität Rom, dass Patienten mit einer Helicobacter pylori bedingten Gastritis einen bis zu 30% höheren L-Thyroxin-Bedarf haben als magengesunde Schilddrüsenpatienten (M. Centanni, L. Gargano, G. Canettieri, N. Viceconti, A. Franchi, G. Delle Fave, B. Annibale: „Thyroxine in Goiter, Helicobacter pylori Infection, and Chronic Gastritis“ , N Engl J Med, 17(354): 1787 – 1795).

Trotz Therapie keine Besserung?

Kommt es auch nach monatelanger Einnahme von Schilddrüsenhormonpräparaten zu keiner deutlichen Besserung der Krankheitssymptome, kann dies an einer Umwandlungsstörung liegen, d. h. der Körper ist nicht ausreichend in der Lage das stoffwechselaktive Hormon T3 aus T4 herzustellen. Bezüglich der Blutwerte kann sich eine solche Umwandlungsstörung an einem fT4-Wert an der Obergrenze, aber einem fT3-Wert noch im unteren Normalbereich zeigen. Versuchsweise können zusätzlich 200 µg Selen täglich eingenommen werden. Für die Umwandlung des Schilddrüsenhormons T4 in die stoffwechselaktive Form T3 ist das Enzym Jodthyronin-Dejodase zuständig, welches von Selen abhängig ist. Bleiben trotzdem weiterhin Beschwerden vorhanden, besteht die Möglichkeit ein Kombinationspräparat, welches T3 und T4 enthält, einzunehmen. Selbstverständlich sollte auch andere Ursachen für die Beschwerden ausgeschlossen werden!

Normale Blutwerte, aber trotzdem Unterfunktionssymptome?

Häufig bestehen trotz im Normalbereich liegender Schilddrüsenwerte weiter Beschwerden, die auf eine noch bestehende Schilddrüsenunterfunktion hindeuten. Analog zu der bereits erläuterten Organhyperthyreose kann es auch eine Organ-Hypothyreose geben. In diesem Fall können weitere Tests wie der ZULEWSKI-Score oder die Temperaturmessmethode nach BARNES wertvolle Hinweise zur Beurteilung der Stoffwechsellage liefern.

TSH-Wert verändert sich nicht?

Das TSH ist ein sehr träger Parameter und reagiert nur sehr langsam auf die von außen zugeführten Schilddrüsenhormone. Bei einer Untersuchung wurde festgestellt, dass sich die Schilddrüsenhormonwerte bereits wenige Tage nach Therapiebeginn normalisieren, während die Normalisierung des TSH mehrere Wochen dauern kann (B. Bakker, M. J. Kempers, J. J. De Vijlder, D. A. Van Tijn, B. M. Wiedijk, M. Van Bruggen, T. Vulsma: „Dynamics of the plasma concentrations of TSH, FT4 and T3 following thyroxine supplementation in congenital hypothyroidism“, Clin Endoc 2002, 4(57): 529 – 537). Nach einer Dosisänderung sollte deshalb grundsätzlich eine Zeitspanne von ungefähr 6 Wochen abgewartet werden, bis die Blutwerte erneut kontrolliert werden. Bleibt das TSH auch danach zu hoch, reicht die zugeführte Menge an Schilddrüsenhormonen noch nicht aus und die Dosis muss weiter erhöht werden.

Supprimiertes (erniedrigtes) TSH, normale fT3- und fT4-Werte?

Ein Phänomen, welches von vielen Betroffenen berichtet wird, ist das erstmals bei Suppression des TSH eine deutliche Besserung eintritt. Trotz des erniedrigten TSH befinden sich die freien Schilddrüsenhormone deutlich unterhalb der Normbereichsobergrenzen und es treten keinerlei Überfunktionssymptome auf. Laut Ansicht der meisten Ärzte besteht bei einem supprimiertem TSH und normwertigem fT3/fT4 aber bereits eine latente Hyperthyreose, die das Herzinfarkt- und Osteoporose-Risiko erhöht und deshalb unbedingt vermieden werden muss. Diese Einschätzung führt dazu, dass sie das Befinden des Patienten ignorieren und auf einer Dosis-Reduktion beharren. Es ist allerdings nicht zweifelsfrei nachgewiesen, dass ein supprimierter TSH immer zwingend zu unerwünschten Effekten am Knochensystem oder am Herzen führt. Wenn durch eine Hashimoto-Thyreoiditis das Zentrale Nervensystem in Mitleidenschaft gezogen wird, wie dies bei der Hashimoto-Enzephalopathie der Fall ist, wird eine TSH-suppressive Einstellung mit Levothyroxin sogar empfohlen, um den Autoimmunprozess möglichst zu hemmen. Auch Patienten mit Schilddrüsenkrebs werden lebenslang mit TSH-unterdrückenden Levothyroxindosen behandelt. Und in beiden Fällen kommt es auch nicht zwangsläufig zu Schädigungen am Herzen oder einer verminderten Knochendichte. Es gibt inzwischen zahlreiche Studien, die den Effekt TSH-suppressiver Langzeittherapie mit Schilddrüsenhormonen auf die Knochendichte untersuchten, und bestätigen, dass unter TSH-suppressiver Langzeittherapie mit Levothyroxin kein signifikanter Knochenmasseverlust zu befürchten ist (D. C. Bauer, M. C. Nevitt, B. Ettinger, K. L. Stone: „Low thyreotropin levels are not associated with bone loss in older woman“ J Clin Endoc a Metab 1997, 9(82): 2931 – 2936). Für einen supprimierten TSH-Wert bei empfundener euthyreoter Stoffwechsellage wurden bereits verschiedene Erklärungsmodelle entwickelt. In Einzelfällen kann eine zelluläre Schilddrüsenhormonresistenz vorliegen. Dieser Erklärungsansatz ähnelt der von WAWRZYN beschriebenen Organhyperthyreose bzw. hier Organhypothyreose. LOWE argumentiert, dass oftmals erst TSH-suppressive Substitutionstherapien mit deutlich positiven Wirkungen auf die Cholesterinwerte einhergehen. Das niedrigere TSH würde damit sogar zu einem verminderten Arteriosklerose-Risiko beitragen. Auch die im Rahmen der Schilddrüsenunterfunktion oft begleitend auftretenden Muskel- und Gelenkschmerzen sprechen nach seiner Erfahrung häufig erst dann auf die Therapie mit Levothyroxin an, wenn das TSH bereits erniedrigt ist. Diese Beobachtungen hängen nach LOWE mit einer zellulären Schilddrüsenhormonresistenz zusammen, bei der trotz normaler Blutwerte eine Unterversorgung mit Schilddrüsenhormonen in einzelnen Organen bestehen kann. Ein anderes Erklärungsmodell beschäftigt sich mit den bei der Hashimoto-Thyreoiditis selten vorkommenden TRAK. Sie können den TSH dauerhaft senken, so dass es zu einem abweichendem Verhältnis von TSH und den Schilddrüsenhormonen kommt. Bei Untersuchungen von 45 Patienten mit Morbus Basedow fanden BROKKEN u. a. heraus, dass die TSH-Rezeptor-Antikörper die TSH-Produktion an der Hypophyse dauerhaft unterdrücken, d. h. auch noch Monate nachdem durch thyreostatische Behandlung die Konzentrationen der freien Hormone in den Normalbereich gedrückt worden waren, blieb das TSH unverändert supprimiert. Das TSH wird in diesem Fall innerhalb der Hypophyse direkt an den TSH-Rezeptor gebunden. Es erfolgt keine Rückkopplung über die Konzentrationen der freien Hormone T3 und T4 (L. J. Brokken, W. M. Wiersinga, M. F. Prummel: “Thyrotropin receptor autoantibodies are associated with continued thyrotropin suppression in treated euthyroid Graves‘ disease patients”, J Clin Endoc a Metab 2003, 9(88): 4135 – 4138).

Normales TSH und fT3, fT4 oberhalb der Norm?

Dies ist bei Einnahme eines reinen T4-Präparates nichts Ungewöhnliches und bei normwertigen fT3-Werten auch nicht als Schilddrüsenüberfunktion fehl zu deuten. Zum anderen kann es daran liegen, dass das Schilddrüsenhormonpräparat erst kurz vor der Blutabnahme eingenommen wurde. Bei morgendlicher Blutabnahme zur Kontrolle einer L-Thyroxin-Substitution sollte die Einnahme des Schilddrüsenmedikaments 24 Stunden zurückliegen, da es ansonsten kurz nach Einnahme des Medikaments zu erhöhten Werten kommen kann. Bei einer Studie wurde die Wirkung einer einmaligen L-Thyroxin-Dosis von 150 µg auf die Serumkonzentrationen von TSH, fT3, T3, fT4 und T4 untersucht. Drei Stunden nach der Einnahme wurden dabei die höchsten Konzentrationen an Schilddrüsenhormonen gemessen. Die TSH-Konzentration war zu diesem Zeitpunkt am niedrigsten (A. Carpi, M. G. Toni, C. De Gaudio: „Effect of a single dose of L-thyroxine (150 µg) on serum thyroid hormone and TSH concentrations in clinically euthyroid goitrous Patients“, Thyroidol 1992: 69 – 73).

Normales TSH, fT3 und fT4 über der Norm?

Bei der sogenannten Schilddrüsenhormonresistenz handelt es sich um einen angeborenen Defekt des Schilddrüsenhormonrezeptors. Dies führt dazu, dass die Schilddrüsenhormone an den Körperzellen der verschiedenen Organe nicht richtig wirken können. Deshalb sind sehr hohe Mengen an Schilddrüsenhormonen erforderlich, um eine ausreichende Versorgung aller Gewebe sicherzustellen. Diese Erkrankung ist vielen Ärzten weitgehend unbekannt und auch schwierig zu diagnostizieren. Die Krankheitssymptome können sowohl einer Schilddrüsenunterfunktion als auch einer Schilddrüsenüberfunktion ähneln. Die Schilddrüse ist meist vergrößert. Das TSH liegt dabei fast immer im Normalbereich, während die Schilddrüsenhormonkonzentrationen oberhalb der Norm liegen, so dass die Ärzte eher auf eine versteckte Schilddrüsenüberfunktion hin, also mit Thyreostatika behandeln.

Supprimiertes TSH, fT3 und fT4 erhöht?

Dieser Laborbefund deutet auf eine Schilddrüsenüberfunktion hin, die auch durch eine Überdosierung von Levothyroxinnatrium entstehen kann. Dies wird als Hyperthyreosis factitia oder auch iatrogene Hyperthyreose bezeichnet. Wenn Überfunktionssymptome bestehen (was meist erst bei erhöhtem fT3 der Fall ist), muss die Schilddrüsenhormondosis umgehend reduziert werden.

Wirksamkeit von Generika?

Bei den mit Abstand am häufigsten verwendeten Schilddrüsenhormonpräparaten handelt es sich um Monopräparate, die Levothyroxinnatrium (T4) als alleinigen Wirkstoff enthalten. Einige gängige Medikamente sind Eferox, Euthyrox oder L-Thyroxin Henning. Auch wenn in allen diesen Medikamenten der gleiche Wirkstoff enthalten ist, können sie sich aufgrund der Zusatzstoffe dennoch in ihrer Bioverfügbarkeit und Verträglichkeit unterscheiden. Bei einer Studie an 60 Patienten wurde untersucht, ob sich L-Thyroxin Henning und Eferox hinsichtlich ihrer Wirksamkeit unterscheiden. Ergebnis: Bereits ab dem ersten Einnahmetag von L-Thyroxin Henning war der fT4-Spiegel im Vergleich zu Eferox deutlich höher. Auch der TSH-Spiegel sank signifikant stärker ab (A. Krehan, M. Dittmar, A. Hoppen, K. Lichtwald, G. J. Kahaly: „Randomisierte, doppelblinde Crossover-Studie zur Bioverfügbarkeit von Levothyroxin“, Med Klin 2002, 9(97): 522 – 527).

Erneut Symptome nach Präparatewechsel?

Aufgrund wirtschaftlicher Zwänge verordnen Ärzte verstärkt Generika, also im Vergleich zum Originalmedikament preisgünstige Alternativen. Sollten Sie auf Anraten Ihres Arztes Ihr Schilddrüsenhormonpräparat gewechselt haben und jetzt das Wiederauftreten von Krankheitssymptomen bemerken, kann das daran liegen, dass Ihr neues Präparat trotz gleichen Inhaltsstoffes weniger stark wirkt. Mögliche Lösungen: Sie wechseln zum alten Schilddrüsenhormonmedikament zurück oder mit Hilfe von aktuellen Laborwerten erhöhen Sie die Dosis des neuen Medikaments.

Nach langer Symptomfreiheit wieder Beschwerden?

Schilddrüsenerkrankungen wie die Hashimoto-Thyreoiditis schreiten auch unter der Therapie mit Schilddrüsenhormonen weiter fort. Es wird funktionsfähiges Schilddrüsengewebe zerstört, wodurch immer weniger körpereigene Schilddrüsenhormone produziert werden. Die bisher zugeführte Menge an Schilddrüsenhormonen reicht eventuell nicht mehr aus, um den aktuellen Bedarf zu decken. Also neue Blutwerte bestimmen lassen und die Hormondosis ggf. nach oben anpassen.

Jahreszeitabhängige Beschwerden?

Es wird von einigen Betroffenen berichtet, dass sich ihr Schilddrüsenhormonbedarf im Verlauf eines Jahres dahingehend ändert, dass sie im Winter etwas mehr Schilddrüsenhormone benötigen und im Sommer etwas weniger. Es ist schon länger bekannt, dass die Hypophysentätigkeit und damit auch die Aktivität der Schilddrüse durch äußere Faktoren wie Licht, Wärme und Sonneneinstrahlung beeinflusst wird. Vermutlich kommen diese jahreszeitlichen Schwankungen durch Wechselwirkungen zwischen Melatonin und der Schilddrüsenfunktion zustande. Die genauen Zusammenhänge sind jedoch noch nicht erforscht.

Zyklusabhängige Beschwerden?

Wenn es unter gleichbleibender Schilddrüsenhormondosis zu in regelmäßigen Zeitabständen wiederkehrenden Beschwerden kommt, sind vermutlich Störungen der Sexualhormone ursächlich dafür verantwortlich. Beispielsweise ein Progesteronmangel kann Symptome verursachen, die Unterfunktionsbeschwerden sehr ähnlich sind und deshalb als Hypothyreose fehlgedeutet werden können. Es kann aufschlussreich sein die auftretenden Beschwerden circa 3 Monate in den Zykluskalender einzutragen, regelmäßig morgens die Basaltemperatur zu messen und eine Temperaturkurve zu führen. Beim Gynäkologen um eine Laborbestimmung der weiblichen Hormone zu bitten und mögliche, organische Ursachen abklären lassen.

Unterfunktionssymptome in der Schwangerschaft?

Der Schilddrüsenhormonbedarf steigt in der Schwangerschaft an. Für bereits schilddrüsenerkrankte und substitutionspflichtige Schwangere bedeutet dies, daß sie im Verlauf der Schwangerschaft eine höhere Dosis ihres Schilddrüsenhormonmedikaments benötigen. Oft ist gegen Ende der Schwangerschaft eine bis zu 50 % höhere Dosis zur Beibehaltung einer euthyreoten Stoffwechsellage erforderlich (E. K. Alexander, E. Marqusee, J. Lawrence, P. Jarolim, G. A. Fischer, P. R. Larsen: „Timing and magnitude of increases in levothyroxine requirements during pregnancy in women with hypothyroidism”, N Engl J Med 2004, 351: 241 – 249).

Überfunktionssymptome in den Wechseljahren?

Es gibt sehr enge Wechselbeziehungen zwischen den Östrogenen und den Schilddrüsenhormonen. So sinkt mit Nachlassen der körpereigenen Produktion von Östrogenen die Anzahl der Bindungseiweiße, wodurch plötzlich weniger Schilddrüsenhormone gebunden und dadurch stärker in den Organen freigesetzt werden. Es kann zu den Symptomen einer Schilddrüsenüberfunktion kommen. Aktuelle Blutwerte bestimmen lassen und die Hormondosis ggf. nach unten anpassen.


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