Selbstzweifel belasten viele schilddrüsenkranke PatientInnen

Mangel an Schilddrüsenhormonen (Schilddrüsenunterfunktion) kann zu Wesensveränderungen, Unsicherheit und psychischen Auffälligkeiten führen.

Wenn mir jemand früher erzählt hätte, welche weitreichenden Auswirkungen eine vermeintlich harmlose Erkrankung der Schilddrüse haben kann, hätte ich vermutlich ungläubig den Kopf geschüttelt. Angesichts von Übergewicht, „ungepflegtem“ Äußeren und Schilderungen von Antriebsarmut, anhaltender Müdigkeit, Muskelschmerzen sowie quälender Melancholie und Mutlosigkeit wäre meine Einschätzung wahrscheinlich die gewesen, dass ich da jemanden vor mir habe, der sich gehen lässt. Ich hätte sicher meine Zweifel gehabt, ob die Diagnose Schilddrüsenunterfunktion, ein simpler Mangel an Schilddrüsenhormonen, nicht doch eher als eine miserable Ausrede für Selbstmitleid und Willensschwäche herhalten muss.

Das wird schon wieder!

Als sich die Hashimoto-Thyreoiditis dann in mein eigenes Leben geschlichen hat und die ersten Schilddrüsenunterfunktionssymptome spürbar wurden, habe ich das getan, was die meisten SchilddrüsenpatientInnen machen – sich zusammenreißen, versuchen zu funktionieren, irgendwie weitermachen …

Die wenigsten Schilddrüsenkranken können im Nachhinein genau den Zeitpunkt bestimmen, an dem die Schilddrüsenkrankheit bei ihnen ausgebrochen ist. Kaum jemand geht gleich bei den ersten Anzeichen zum Hausarzt. Dafür sind die schilddrüsenbedingten Beschwerden meist sehr lange Zeit zu unspezifisch. Mögliche, vermeintlich plausible Erklärungen gibt es außerdem fast immer. Das Gedankenkarussell nimmt Fahrt auf. Ständig müde und gesundheitlich angeschlagen sind bei dem schmuddeligen Herbstwetter doch alle. Die letzte Zeit war stressig, da ist es kein Wunder, dass man mal schlecht schläft. Regelmäßig Sport machen war einfach nicht drin. Mit der gesunden Ernährung hat es – logisch – auch gehapert. Klar, dass man da nicht mehr so richtig gut fühlt.

Was stimmt nicht mit mir?

Von da ist es bis zu einem „Du bist doch selbst schuld!“ nicht mehr weit. In die aufkommenden Schuldgefühle mischen sich mehr und mehr auch Selbstzweifel. Warum kriege ich nicht hin, was andere scheinbar so mühelos schaffen? Wieso nehme ich nicht ab obwohl ich schon seit Wochen konsequent eine Diät durchhalte?

Wenn dann irgendwann doch der Hausarzt aufgesucht wird, sind die PatientInnen oft nicht nur verunsichert sondern haben schon Wochen, Monate oder sogar Jahre unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen gelitten. Nicht wenige fühlen sich stark geschwächt oder sogar am Ende ihrer Kraft … Und dann stoßen sie nicht selten auf eine Bagatellisierung der Schilddrüsenerkrankung. Alles nicht so schlimm – warum geht es mir dann so schlecht? Ich nehme die Schilddrüsentabletten wirklich regelmäßig, aber mir helfen sie einfach nicht. Soll ich den Hausarzt wechseln oder einen Schilddrüsenspezialisten aufsuchen? Vielleicht ist die Diagnose falsch? Oder brauche ich nur ein anderes Medikament? Oder ist das Schilddrüsenpräparat richtig, aber die Dosierung falsch?

Diese innere Zerrissenheit ist nicht nur typisch, sondern auch sehr belastend für viele SchilddrüsenpatientInnen. Der Zwiespalt zwischen dem was der Hausarzt sagt und dem was sie selbst empfinden ist oft groß. Hinzu kommen Persönlichkeitsveränderungen durch krankhaft veränderte Schilddrüsenhormonspiegel sowie der insbesondere bei den autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen ungewisse Krankheitsverlauf.


Nicole Wobker „Psychische Aspekte der Diagnose Hashimoto-Thyreoiditis “ (Amazon-Partnerlink)

Die Hashimoto-Thyreoiditis ist keine psychische Erkrankung. Und doch führen weit verbreitete Beschwerden wie innere Unruhe, Unsicherheit, Selbstzweifel, Schlafstörungen und Erschöpfungszustände gerade im Anfangsstadium der Autoimmunerkrankung häufig zu entsprechenden Fehldiagnosen ( Angststörung, Burnout, Depression).