getrockneter Schilddrüsenextrakt vom Schwein (Natural Desiccated Thyroid)

Neben der Standardtherapie mit labortechnisch hergestellten Schilddrüsenmedikamenten gibt es noch sogenannte „natürliche Schilddrüsenhormonpräparate“. Diese Nischenpräparate enthalten getrockneten Schweineschilddrüsenextrakt (NDT = Natural Desiccated Thyroid) als Hauptbestandteil. Sie werden seit einigen Jahren auch in Deutschland wieder zunehmend häufiger verschrieben und zur Behandlung einer Schilddrüsenunterfunktion eingesetzt.

Seit es die Möglichkeit gab Schilddrüsenhormone künstlich herzustellen wurde Schweineschilddrüsenextrakt kaum noch eingesetzt.

Ursprünglich waren Extrakte aus tierischen Schilddrüsen (Schwein, Schaf, Rind) das Mittel der Wahl wenn es erforderlich war eine Schilddrüsenunterfunktion medikamentös auszugleichen. Es gab lange Zeit schlicht und ergreifend nichts anderes. Deshalb wurden diese „natürlichen Schilddrüsenhormone“ ungefähr zwischen 1880 und 1970 selbstverständlich auch in Deutschland eingesetzt.

Die Medikamente die heutzutage fast ausschließlich aus Schweineschilddrüsenextrakt bestehen sind also quasi der Vorläufer der gegenwärtig fast ausnahmslos eingesetzten chemisch-synthetisch hergestellten Medikamente. Seit es George Barger (1878 – 1939, schottischer Chemiker) im Jahr 1927 erstmals gelang das Schilddrüsenhormon T4 künstlich herzustellen und damit der Grundstein für die industrielle Produktion gelegt wurde hat man diese Art der Therapie weltweit hinter sich gelassen. Heute ist es so, dass es in Deutschland kein einziges industriell produziertes Schweinethyroxin-Präparat mehr gibt welches offiziell zugelassen ist.

Renaissance der „natürlichen Schilddrüsenhormonpräparate“

Auch wenn oftmals etwas anderes suggeriert wird, gibt es PatientInnen mit einer Schilddrüsenunterfunktion bei der die übliche Standardtherapie mit einem T4-Monopräparat nicht gut funktioniert. Sie suchen verständlicherweise nach einer Lösung für ihre anhaltenden gesundheitlichen Probleme.

Mit der gesteigerten Nutzung des Internets ab dem Jahr 1998 gab es hierzulande die ersten schilddrüsenspezifischen Webseiten über die sich betroffene Schilddrüsenerkrankte austauschen konnten. Schnell verbreitete sich die Information, dass es in anderen Ländern wie beispielsweise den USA und Kanada noch andere Therapieoptionen gibt.

Das hat bis heute nichts daran geändert, dass Schweinethyroxin-Präparate in Deutschland nicht mehr zugelassen sind. Aber man hat herausgefunden, dass es möglich ist sie nach Verordnung durch einen in Deutschland niedergelassene(n) Arzt/Ärztin auf Privatrezept über internationale Apotheken zu beziehen. Plötzlich gab es zumindest für Einzelne die Wahl zwischen den auf dem deutschen Markt erhältlichen Schilddrüsenmedikamenten und den verschiedenen Schweineschilddrüsenextrakt-Präparaten aus dem Ausland. Dazu gehören neben dem amerikanischen Marktführer Armour Thyroid® (Hersteller: Forest Pharmaceuticals) auch Westthyroid® und Nature Thyroid® (Hersteller: Western Research Labs) sowie Generika verschiedener Hersteller (Vintage, Huntsville), die sich im Preis je nach Importeur deutlich voneinander unterscheiden können.

Inzwischen gibt es auch wieder in Deutschland produzierte Schilddrüsenmedikamente mit Schweineschilddrüsenextrakt als Hauptbestandteil. Diese werden allerdings nicht industriell in großem Stil hergestellt, sondern es werden nur sehr kleine Mengen in einigen wenigen Apotheken angefertigt. Eine Vorreiterrolle kommt dabei der Klösterl-Apotheke in München, der Receptura-Apotheke in Frankfurt und der Schlossplatz-Apotheke in Bonn zu.

Wann lohnt sich ein Versuch mit Schweinethyroxin-Präparaten?

Schweineschilddrüsenextrakt wird immer nur eine Option für einige wenige SchilddrüsenpatientInnen bleiben da die Mehrheit mit den üblichen Schilddrüsenhormonpräparaten relativ problemlos zurecht kommt und die Kosten auch nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden.

Wichtig: Auch wenn in den sozialen Netzwerken andere Bezugsquellen als Tipps gehandelt werden für die kein ärztliches Rezept notwendig ist. Die Einnahme von Schweineschilddrüsenextrakt sollte gut überlegt und selbstverständlich immer mit dem/r behandelnden Arzt/Ärztin abgestimmt werden. Nicht zuletzt weil genauso wie bei den chemisch-synthetisch hergestellten Schilddrüsenhormonpräparaten eine regelmäßige Therapiekontrolle notwendig ist.

Grundsätzlich sollte Schweinethyroxin erst in Erwägung gezogen werden, wenn die Einnahme

  • eines T4-Monopräparates
  • eines T4-Monopräparates plus 200 µg Selen
  • eines T3/T4-Kombinationspräparates

jeweils über mehrere Monate, in verschiedenen Dosierungen und unter der Verwendung von Medikamenten unterschiedlicher Hersteller erfolglos geblieben ist.

Bei weiter bestehenden Beschwerden kann die Einnahme natürlicher Schilddrüsenhormonpräparate eine erfolgversprechende Alternative zu den chemisch-synthetisch hergestellten Schilddrüsenmedikamenten sein, wie sie üblicherweise hier in Deutschland eingesetzt werden. Es gibt einige positive Berichte von Betroffenen, die nach eigenen Aussagen erst durch die Einnahme von Schweineschilddrüsenextrakt eine deutliche Besserung ihrer Krankheitssymptome erreichen konnten. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Therapie mit Schweinethyroxin-Präparaten und deren langfristige Auswirkungen wissenschaftlich genau so wie die T3/T4-Kombinationstherapie umstritten ist.

Falsch ist, dass NDTs grundsätzlich verträglicher oder besser sind. Die meisten SchilddrüsenpatientInnen vertragen die künstlich hergestellten Schilddrüsenmedikamenten ohne Probleme und erlangen damit auch eine weitgehende Beschwerdefreiheit zurück.

Nachteile der Schweinethyroxin-Präparate

Wie bei allen Schilddrüsenhormonpräparaten treten Nebenwirkungen hauptsächlich dann auf, wenn sie falsch dosiert sind. Ist die eingenommene Dosis zu hoch leiden die betroffenen PatientInnen unter den für eine Schilddrüsenüberfunktion typischen Beschwerden. Das können beispielsweise Unruhe, Schlafstörungen, Schwitzen, Durchfall und Gewichtsabnahme sein. Bei einer zu niedrigen Dosis bleiben die für eine Schilddrüsenunterfunktion charakteristischen Symptome (Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Verstopfung, Gewichtszunahme) weiter bestehen.

Nachfolgend sind weitere Aspekte aufgeführt, die vor einem Therapiewechsel unbedingt bedacht werden sollten:

  • Unter der Therapie mit NDTs kann es zu erhöhten fT3-Werten und damit zu Komplikationen im Bereich des Herz-Kreislauf-Systems kommen. Nachdem BRAVERMANN um 1970 die Konversion von T4 zu T3 entdeckt hat, waren diese Komplikationen der Hauptgrund, warum man in Deutschland diese Art der Kombinationstherapie verlassen hat.
  • Extrakte aus getrockneten Schweineschilddrüsen werden nicht aufgereinigt, d. h. neben dem Hormon sind noch tierische Eiweißstoffe enthalten. Dadurch kann es theoretisch zu Allergien mit Antikörperbildung gegen das Fremdeiweiß kommen.
  • Das Verhältnis von T3 zu T4 beim Schwein (1 : 4) entspricht nicht dem beim Menschen (1 : 10). Die Konzentrationen der enthaltenen Hormone schwanken geringfügig von Charge zu Charge, wodurch eine korrekte Dosierung erschwert wird.

Erwähnenswert ist auch: Schweineschilddrüsenextrakte enthalten nicht nur T3 und T4, sondern auch T1 und T2. Vermutlich handelt es sich dabei um harmlose Abbauprodukte von T4 und T3. Es ist aber nicht gesichert, ob sie bei langfristiger Einnahme nicht unerwünschte Nebenwirkungen haben. Problematisch ist im Hinblick darauf, dass deren Konzentration im Blut nicht bei Routinekontrollen bestimmt wird. BefürworterInnen der Therapie mit Schweineschilddrüsenextrakt sehen darin sogar einen Vorteil und halten es für denkbar, dass die aus ihrer Sicht bessere Verträglichkeit und Wirkung genau darauf zurückgeführt werden kann.

Was muss man bei der Einnahme von Schweinethyroxin-Präparaten beachten?

Für die Therapie mit NDTs gilt genau wie für alle anderen Schilddrüsenhormonpräparate, dass diese langsam eingeschlichen und die Dosis dann allmählich gesteigert wird.

Ähnlich wie bei den T3/T4-Präparaten kann es zu Beginn der Therapie sowie kurz nach der Einnahme der Schilddrüsenhormone für wenige Stunden zu Überfunktionssymptomen kommen. Bei den natürlichen Schilddrüsenhormonpräparaten scheint dieser Effekt jedoch geringfügig schwächer ausgeprägt zu sein als bei herkömmlichen Schilddrüsenhormonmedikamenten. Vermutet wird, dass dies mit einer zeitverzögerten Abgabe im Körper, einer Art Retard-Funktion, zusammenhängt. Die genaue Wirkungsweise ist jedoch noch nicht wissenschaftlich erforscht.

Da bei den natürlichen Schilddrüsenhormonpräparaten die Konzentrationen der enthaltenen Hormone schwanken gibt die nachfolgende Übersicht nur einen groben Anhaltspunkt für die Umrechnung. Jedes Produkt ist etwas anders zusammengesetzt.

  • 0,25 Grain = 10 µg T4 + 2,5 µg T3 (entspricht 25 µg T4)
  • 0,5 Grain = 20 µg T4 + 5 µg T3 (entspricht 50 µg T4)
  • 1 Grain = 40 µg T4 + 10 µg T3 (entspricht 100 µg T4)
  • 1,5 Grain = 60 µg T4 + 15 µg T3 (entspricht 150 µg T4)
  • 2 Grain = 80 µg T4 + 20 µg T3 (entspricht 200 µg T4)

Erfahrungen Betroffener zeigen zudem, dass nur die wenigsten ausschließlich mit einem Schweinethyroxin-Präparat zurechtkommen. In vielen Fällen steigt das fT3 deutlich an, während das fT4 teilweise drastisch abfällt, was auf den hohen T3-Anteil in den Schweinethyroxin-Präparaten zurückgeführt wird. In diesen Fällen muss oft zusätzlich eine kleine Menge eines üblichen T4-Monopräparates eingenommen werden.

Schilddrüse SDG-Tipp Leseempfehlung

Alle bisher hier veröffentlichten Beiträge zum Thema können Sie sich unter dem Schlagwort → Schweineschilddrüsenextrakt anzeigen lassen. Sobald es neue und interessante Informationen dazu gibt werden Ihnen diese automatisch als erstes angezeigt


Nicole Wobker: Wenn die Diagnose Hashimoto-Thyreoiditis das Leben verändert.: Wegweiser zu neuen Behandlungsansätzen (Amazon-Partnerlink)

Etliche Hashimoto-Thyreoiditis-Erkrankte sind trotz Schilddrüsenhormontherapie nicht beschwerdefrei. Dieses E-Book beschreibt die sowohl für betroffene PatientInnen als auch behandelnde ÄrztInnen gleichermaßen schwierige Situation. Es zeigt die Chancen und Risiken der derzeit möglichen ergänzenden Therapieansätze auf, um Hashimoto-Thyreoiditis-Erkrankten eine Hilfestellung bei der individuellen Auswahl derselben zu geben.


Dieser Artikel wurde am 05.03.22 vollständig überarbeitet.