Endokrines Psychosyndrom

Bei der Hashimoto-Thyreoiditis kann es neben körperlichen Symptomen wie Gewichtszunahme, Frieren, Verstopfung, Muskelschwäche und Gelenkschmerzen auch zu psychischen Auffälligkeiten wie Nervosität, Schlafstörungen, Angst und Depressionen kommen.

Die Hashimoto-Thyreoiditis ist keine psychische Erkrankung!

Bei der Hashimoto-Thyreoiditis handelt es sich um eine weit verbreitete Autoimmunkrankheit. Schätzungen zufolge sind jede zehnte Frau und jeder einhundertste Mann davon betroffen.

Bei dieser autoimmun bedingten Erkrankung greift das gestörte Immunsystem irrtümlicherweise die eigene Schilddrüse an. Die unangenehme Folge dieser immunologischen Fehlsteuerung ist eine chronische Entzündung der Schilddrüse bis hin zu einer vollständigen Zerstörung dieses lebenswichtigen Organs. Die Hashimoto-Thyreoiditis entwickelt sich schleichend, das heißt langsam und über einen sehr langen Zeitraum hinweg. Was wiederum bedeutet, erst bei fortgeschrittener Erkrankung kommt es dazu, dass die Schilddrüse nicht mehr richtig funktioniert. Das geschädigte Organ kann dann nur noch wenige oder sogar überhaupt keine Schilddrüsenhormone mehr produzieren. Diese Restmenge an körpereigenen Schilddrüsenhormonen reicht aber oft nicht mehr aus um den Körper ausreichend zu versorgen. Es kommt zu einem teilweise erheblichen Mangel an Schilddrüsenhormonen. Dieser Zustand wird auch als Schilddrüsenunterfunktion oder Hypothyreose (griech. hypo = unzureichend, lat. glandula thyreoidea = Schilddrüse) bezeichnet.

Damit einher gehen vielfältige und nicht selten auch sehr ausgeprägte Beschwerden. Neben körperlichen Symptomen wie Gewichtszunahme, Frieren, Verstopfung, Muskelschwäche und Gelenkschmerzen kann es in einer Schilddrüsenunterfunktionsphase auch zu psychischen Auffälligkeiten kommen.

Eine Schilddrüsenfehlfunktion kann ein Endokrines Psychosyndrom auslösen.

Mir ist sogar kaum ein/eine Hashimoto-Thyreoiditis-Patient/in bekannt die/der nicht irgendwann im Krankheitsverlauf zumindest zeitweise von psychischen Symptomen betroffen gewesen wäre. Beeinträchtigende Beschwerden wie eine allgemeine Unsicherheit, innere Unruhe, unbegründete Nervosität, erhöhte Stressanfälligkeit, übertriebene Ängstlichkeit, anhaltende Schlafstörungen, häufige Niedergeschlagenheit und/oder ungewohnte Weinerlichkeit gehören leider für fast alle SchilddrüsenpatientInnen zum „Krankheitserleben“ dazu.

Der Fachbegriff dafür ist Endokrines Psychosyndrom. 

„Der lange bekannte Zusammenhang von psychischen Veränderungen und Hormonstörungen wird allgemein durch den Begriff des endokrinen Psychosyndroms beschrieben. Schilddrüsenfunktionsstörungen werden nahezu immer von psychischen Veränderungen begleitet, selten entstehen dadurch echte psychiatrische Erkrankungen.“ (R. Hörmann, Schilddrüsenkrankheiten: Leitfaden für Klinik und Praxis, Kap. 4.4. Schilddrüse und Psyche, 4. Auflage 2005, ABW Wissenschaftsverlag GmbH)

Im Hinblick darauf sind es genau diese psychischen Krankheitssymptome, die zum einen die betroffenen Hashimoto-Thyreoiditis-PatientInnen an sich selbst zweifeln lassen und die zum anderen dazu führen, dass ÄrztInnen fälschlicherweise anstatt einer auf das Hormonsystem bezogenen eine psychische Erkrankung vermuten.

Hashimoto-Thyreoiditis-Erkrankte befürchten psychische Fehldiagnosen.

Gleichzeitig sind die Auswirkungen der Hashimoto-Thyreoiditis auf die psychische Verfassung ein Tabu-Thema über das die schilddrüsenkranken Betroffenen nur ausgesprochen ungern offen sprechen. Zu groß ist die leider oftmals berechtigte Angst von Familie, Freunden/innen, Arbeitskollegen/innen und insbesondere den behandelnden Ärzten/innen fälschlicherweise als psychisch krank eingeschätzt zu werden.

Faul, wehleidig, überempfindlich, depressiv … sind gängige Vorwürfe gegen die sich SchilddrüsenpatientInnen rechtfertigen müssen.

„Nicht selten werden die Patienten als Simulanten betrachtet, sie suchen oft jahrelang nach dem Grund für ihre Beschwerden. Man hält sie für depressiv oder hysterisch […].“ (Quelle: A. Flemmer, Schilddrüsenprobleme natürlich behandeln, Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co.KG, Hannover 2014)

Hashimoto-Thyreoiditis-Patienten/innen haben die begründete Sorge, dass sie zu Unrecht „in die Psycho-Ecke gestellt“ werden. Sie befürchten, dass ihnen nicht geglaubt wird und dass sie nicht ernst genommen werden. Und das nicht ohne Grund. Zahlreiche Hashimoto-Thyreoiditis-Erkrankte haben bereits die leidvolle Erfahrung gemacht, dass selbst heftigste körperliche Beschwerden verharmlost wurden sobald sie ihre psychischen Symptome ebenfalls erwähnt haben.

„Schilddrüsenfunktionsstörungen können wegen den psychischen Auswirkungen, vor allem bei monosymptomatischem Verlauf, als psychiatrische Erkrankungen verkannt werden […] Hyperthyreosen werden aufgrund ihrer angstbezogenen psychischen Beschwerden am häufigsten als generalisierte Angststörung oder Panikstörung verkannt […] Bei der Hypothyreose führen die klinischen Beschwerden Leistungsminderung, Müdigkeit, Interesselosigkeit, Antriebsarmut und Konzentrationsschwäche am häufigsten zur Verwechslung mit einer Depression.“ (Quelle: G. K. Stalla, M. Tichomirowa, L. Schaaf: „Zentralnervensystem und Schilddrüsenhormone“, Mit Dt Ges Endok 2003, 2(27))

Und dieses Risiko einer psychischen Fehldiagnose besteht nicht erst wenn eine Hashimoto-Thyreoiditis diagnostiziert wurde. Im Gegenteil – die Leidenswege von Hashimoto-Thyreoiditis-PatientInnen bis zur Diagnose sind häufig gerade deshalb so lang, weil ÄrztInnen bei den geschilderten Krankheitssymptomen eher an psychische Erkrankungen als an ein endokrines Psychosyndrom denken. In der Folge werden oft lediglich die beeinträchtigenden Beschwerden wie Nervosität, innere Unruhe, Ängste, Panikattacken und Schlaflosigkeit behandelt. Die Suche nach den eigentlichen, körperlichen Ursachen für die vermeintlich psychischen Probleme unterbleibt oft eine sehr lange Zeit. Die Hashimoto-Thyreoiditis bleibt undiagnostiziert und entsprechend untherapiert.

Erfahrungsbericht (anonym): „Angefangen hat alles ganz harmlos. Es ging mir nicht gut. Morgens bin ich nicht aus dem Bett gekommen. Tagsüber war ich eigentlich immer müde, konnte mich zu nichts mehr aufraffen und habe fast nichts mehr auf die Reihe gekriegt. Abends war ich dann plötzlich so aufgedreht, dass ich manchmal stundenlang nicht einschlafen konnte. Gleichzeitig war ich extrem empfindlich. Ich bin bereits zusammengezuckt wenn es an der Tür geklingelt hat. Oft bin ich schon bei Kleinigkeiten in Tränen ausgebrochen. Das ist irgendwann natürlich auch meiner Familie aufgefallen, die mich gedrängt hat zum Arzt zu gehen. Das Gespräch dort hat keine fünf Minuten gedauert. Diagnose depressive Verstimmung. Der Arzt hat mir ein Johanniskraut-Präparat verordnet und mich insgesamt vier Wochen krank geschrieben. Viel besser ging es mir dadurch nicht.“


Nicole Wobker „Psychische Aspekte der Diagnose Hashimoto-Thyreoiditis “ (Amazon-Partnerlink)

Die Hashimoto-Thyreoiditis ist keine psychische Erkrankung. Und doch führen weit verbreitete Beschwerden wie innere Unruhe, Unsicherheit, Selbstzweifel, Schlafstörungen und Erschöpfungszustände gerade im Anfangsstadium der Autoimmunerkrankung häufig zu entsprechenden Fehldiagnosen ( Angststörung, Burnout, Depression).


Dieser Artikel wurde zuletzt am 17. Juli 2024 aktualisiert.