Schilddrüsenunterfunktion bei Älteren: Werte zunächst kontrollieren und nicht immer behandeln
Menschen über 65 Jahre haben einen höheren TSH-Wert als jüngere Menschen. Das bedeutet nicht, dass auch eine behandlungsbedürftige Schilddrüsenunterfunktion vorliegt.
Symptome wie Kälteempfindlichkeit, Müdigkeit oder depressive Verstimmungen können auf eine Unterfunktion der Schilddrüse hinweisen. Bei über 65-Jährigen ist der TSH-Wert, der anzeigt, ob eine Schilddrüsenfunktionsstörung vorliegt, allerdings altersbedingt höher als bei Jüngeren. Höher heißt nicht unbedingt, dass die Unterfunktion behandelt werden muss. Auch kann es zu einer spontanen Normalisierung der TSH-Werte kommen, und die Leitlinien empfehlen hier deshalb ein sehr zurückhaltendes Vorgehen. Darauf weisen Experten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) anlässlich der im New England Journal of Medicine veröffentlichten → TRUST-Studie hin.
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In der Schilddrüse werden die zwei zentralen Hormone, das Thyroxin (T4) und das Triiodthyronin (T3) gebildet, die den Stoffwechsel, das Herz-Kreislauf-System und das Wachstum beeinflussen. Reguliert wird das Organ über die Hirnanhangdrüse, deren thyreo-stimulierendes Hormon (TSH) Jodaufnahme und Hormonproduktion in der Schilddrüse anregt. Für Erwachsene gilt ein TSH-Referenzbereich von etwa 0,4 bis 4,0 mU/l. „Erhöhte TSH-Werte sind häufig. Wenn sie oberhalb des definierten Laborreferenzbereiches liegen, interpretieren Mediziner sie oft automatisch als Schilddrüsenfunktionsstörung und ordnen sie als latente oder subklinische Schilddrüsenunterfunktion ein“, sagt Professor Dr. Dr. med. Dagmar Führer, Mitglied im Beirat der DGE-Sektion Schilddrüse. Doch nicht immer steckt dahinter ein krankhafter Befund: „Vor allem bei älteren Menschen, bei denen der TSH-Wert aufgrund des Lebensalters ohnehin erhöht ist, bei denen die Symptome variabel sind und oft auch Begleiterkrankungen vorliegen, muss der behandelnde Arzt bei der Interpretation der Laborwerte den Faktor Alter mit einbeziehen“, so Führer, die die Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel am Universitätsklinikum Essen leitet.
Welchen Einfluss das Lebensalter auf den Behandlungsnutzen einer Schilddrüsenhormonsubstitution bei Älteren hat, untersuchten Forscher in einer großen, über fünf Jahre laufenden Studie, die im Juni 2017 im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde. An der TRUST-Studie nahmen insgesamt 737 über 65-Jährige teil, bei denen ein TSH-Wert zwischen 4,60 und 19,99 mU/l vorlag. Eine Hälfte der Gruppe erhielt zur Hormonsubstitution den Wirkstoff Levothyroxin, die andere Hälfte ein Placebo. Nach einem Jahr Therapie wurden keine Verbesserungen von Lebensqualität und Müdigkeitsempfinden beobachtet. Die Autoren der TRUST-Studie kamen zu dem Schluss, dass ältere Menschen von einer medikamentösen Behandlung mit Levothyroxin nicht profitieren, denn am Befinden der Patienten änderte sich nichts. „Aus diesen Ergebnissen jedoch neue Empfehlungen abzuleiten, wäre falsch“, erklärt Führer.
Eine differenzierte Analyse der Studie zeige seit Langem bekannte Regelsysteme der Schilddrüsenhormone. „60 Prozent der Studienpopulation mit TSH-Erhöhung – das waren 2647 Personen – hatten bei einer Wiederholungsuntersuchung zu einem späteren Zeitpunkt normale Schilddrüsenwerte“, so die Expertin. Leicht erhöhte TSH-Werte bis 7 mU/l normalisierten sich häufig spontan. Das zeigten auch frühere Untersuchungen. Für den klinischen Alltag bedeute das: Ein gering erhöhter TSH-Wert müsse erst einmal bestätigt werden. Das heißt, er sollte nach zwei bis drei Monaten kontrolliert werden; erst danach ist eine weitere Abklärung auf eine ursächliche Schilddrüsenerkrankung angezeigt. Wenn der TSH-Wert bei > 10 mU/l liegt, bestehe ein erhöhtes Risiko für Fettstoffwechselstörungen, kardiovaskuläre Ereignisse und eine beeinträchtigte Lebensqualität. Eine pragmatische Empfehlung sei deshalb, bei älteren Patienten, die an anderen Erkrankungen wie Bluthochdruck, Übergewicht, einer koronaren Herzkrankheit oder Diabetes leiden, ab diesem Wert eine Schilddrüsenhormonsubstitution zu starten. „Der zu erzielende Wert sollte altersbezogen eingestellt werden; also bei älteren Patienten durchaus auf TSH-Konzentrationen von 4 bis 6 mU/l“, so Führer. „Die Teilnehmer der TRUST-Studie hatten übrigens im Mittel – vor Therapiebeginn – TSH-Werte um 6,4 mU/l. Das dürfte miterklären, warum kein Behandlungsbenefit eintrat“, ergänzt die Expertin aus Essen. An den geltenden – auch leitliniengemäßen – Diagnostik- und Therapieempfehlungen ändern die TRUST-Ergebnisse nichts. Sie bestätigen sie eher.
Quelle: idw-online.de (Link geprüft am 14.09.23)
→ Schweizer Forschungsprojekt „Trust“
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