Transpalpebrale Orbitadekompression durch Fettentfernung bei endokriner Orbitopathie

Der nachfolgende Text wurde freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Dr. Egon F. Eder (Facharzt für Plastische & Ästhetische Chirurgie, Köln). Homepage: www.basedowsche-orbitopathie.de

Einleitung: Endokrine Orbitopathie

Die endokrine Orbitopathie (EO) ist eine komplexe orbitale Erkrankung, der als Pathogenese wahrscheinlich ein autoimmuner Prozeß zu Grunde liegt. Die EO gilt heute als eigenständiges Krankheitsbild und ist überdurchschnittlich häufig mit einer immunogenen Hyperthyreose vergesellschaftet. Das Krankheitsbild entsteht durch lymphozytäre Infiltrate, Ödembildung und Proliferation des endoorbitalen Bindegewebes. Diese Änderungen manifestieren sich hauptsächlich in den extraokulären Muskeln und im retrobulbären Fettgewebe. Daneben können auch die Glandula lacrimalis sowie die Lidretraktoren betroffen sein.

Graves und Basedow: Exophthalmus durch Vermehrung des peribulbären Gewebes

Die Grundlagen für das moderne Verständnis dieses komplexen Krankheitsbildes sind zwei unabhängig voneinander publizierte Veröffentlichungen. Bereits im Jahre 1835 brachte R. J. Graves in seiner Publikation im „London Medical and Surgical Journal“ die Symptome Tachykardie, Struma und Exophthalmus in einen kausalen Zusammenhang. Unabhängig von dieser wieder in Vergessenheit geratenen Arbeit beschrieb fünf Jahre später der deutsche Arzt K. von Basedow aus Merseburg [5] ebenfalls den Zusammenhang von Tachykardie, Kropf und Exophthalmus. Er konstatierte zu Recht, daß es sich beim Exophthalmus nicht um eine Schwellung des Augapfels handelte, sondern um eine Vermehrung des retroorbitalen Gewebes.

Endokrine Orbitopathie: Lymphozytäre Infiltration peribulbär

Die EO ist charakterisiert durch eine peribulbäre Infiltration mit Makrophagen, aktivierten T- und B-Zellen sowie vermehrt die Expression von HLA-DR und verschiedenen Adhäsionsmolekülen. Die lymphozytäre Infiltration besteht zu einem großen Teil aus „Memory-Zellen“, die nach ihrer Aktivierung durch spezifische Antigene Lymphokine, Zytokine und Wachstumsfaktoren freisetzen. Dieser Prozeß wird als der Auslöser für die Aktivierung von Fibroblasten angesehen. Hierdurch kommt es zur Freisetzung von Glykosaminoglykanen sowie zur Proliferation des retrobulbären Binde-, Fett- und Muskelgewebes.

Die EO gilt heute als eigenständiges Krankheitsbild, das bei 40 % aller Hyperthyreosen auftritt. Es besteht grundsätzlich keine Korrelation zwischen Schweregrad der endokrinen Augensymptomatik und dem Ausmaß der thyreoten Funktionsstörung. Laut verschiedener epidemiologischer Studien leiden in Deutschland zirka 400.000 Patienten an einer Immunhyperthyreose (IHT); dabei manifestiert sich bei 160.000 Patienten eine EO. Somit besteht bei etwa 0,5 % der deutschen Bevölkerung eine IHT und bei 0,2 % eine EO. Für eine genetische Prädisposition spricht eine nachgewiesene familiäre Veranlagung sowie die Häufung der Krankheit bei Menschen mit den Gewebsantigenen HLA-B8 und HLA-DR3. Das weibliche Geschlecht erkrankt fünfmal häufiger als das männliche. Auch exogene Faktoren wie Virusinfekte, Jodbelastung und Rauchen sowie psychischer Streß scheinen eine bedeutsame Rolle in der Entwicklung der EO zu spielen. Der zeitliche Zusammenhang zwischen IHT und EO ist starken Schwankungen unterworfen. In etwa 20 % der Fälle tritt die EO während der akuten Krankheitsphase der IHT auf, während sich die EO in den verbleibenden 40 % erst nach der Behandlung der IHT zeigt.

Klassifikation der EO: Sechs Stadien (nach der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie)

Stadium 1: nicht infiltrative Lidsymptomatik

  • Dalrymple-Zeichen (Oberlidretraktion)
  • Graefe-Zeichen (zurückbleibendes Oberlid bei Blicksenkung)
  • Stellwag-Zeichen (seltener Lidschlag)

Stadium 2: infiltrative Lidsymptomatik

  • Lidschwellung, spontaner Tränenfluss
  • Chemosis, Keratitis, Konjunktivitis
  • Photophobie (Lichtempfindlichkeit)

Stadium 3: Protusio Bulbi

  • mit oder ohne Lidschwellung
  • pathologische Hertel-Werte

Stadium 4: Augenmotilitätsstörungen

  • Diplopie
  • Möbius-Zeichen (Konvergenzschwäche)
  • Strabismus

Stadium 5: Hornhautaffektionen durch Lagophtalmus

  • Hornhauterosion (extrem schmerzhaft)
  • Hornhautulzeration (kaum schmerzhaft)

Stadium 6: Visusminderung bis Erblindung

(durch Kompression des N. Opticus und Zentralvenenstrase/Thrombose)

Die erste praktisch verwendbare und überschaubare Klassifikation der EO wurde 1969 von S.C. Werner erstellt [26]. Die aktuellste und brauchbarste Klassifikation wurde von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie erarbeitet. Sie ist im Prinzip eine detailliertere Version der Wernerschen Klassifikation und reicht – wie aus Tabelle 1 ersichtlich – von leichten Lidsymptomen (Stadium 1) bis zur Erblindung (Stadium 6).

Der Exophthalmus und seine Folgen

1. Durch das zunehmende Volumen von Muskel und Fett sowie die Venen und Lymphstau wird der Bulbus in ventraler Richtung um 10 – 15 mm disloziert.

2. Der N. opticus wird vom Bulbus in ventraler Richtung gestreckt. Der Nerv hat keine Elastizität und steht somit schon in Primärposition bei EO unter Druck. Bei den Bewegungen des Bulbus erhöht sich diese Spannung auf den N. Opticus noch mehr.

3. Die hyperthrophen und fibrosierenden extraokulären Muskeln haben schon ihre Elastizität eingebüßt. Durch weitere Streckung (für 10 bis 15 mm) wird ihre Beweglichkeit noch erheblich eingeschränkt. Es kommt zu einer indirekten Verkürzung der Muskeln um 5 bis 10 Millimeter; die Folgen sind Augenmobilitätsstörungen (Diplopie, Strabismus).

4. Das intraorbitale Fett bewegt sich, bedingt durch den intraorbitalen Druck, in ventraler Richtung. Das Septum orbitale wölbt sich am Ober- und Unterlid nach ventral. Dadurch entsteht eine leichte Druckentlastung in der Orbita. Bei einem harten, unelastischen Septum orbitale ist diese Möglichkeit weniger vorhanden.

5. Der N. opticus ist von der Dura mater umschlungen und mit ihrem zweiten Teil ist die Dura mater am Periost der Orbita (Periorbita) fixiert. Über den N. opticus erfolgt auch eine starke Traktion an der Dura mater. Dies wiederum verursacht den retrobulbären Druck und Brennen und den Kopfschmerz.

6. Der hypertrophe und fibrosierte M. levator palpebrae zieht über seine Aponeurose das Oberlid nach kranial. Der sympatische innervierte Müllersche Muskel ist ebenfalls hypertroph und steht unter erhöhter Kontraktion. Die Proptosis vergrößert zusätzlich die Lidreaktion.

7. Die Retraktoren am Unterlid sind fibrotisch verändert und verkürzt. Durch die zusätzliche Tension des M. rectus inferior, an dem die Retraktoren fixiert sind, entsteht die Unterlidptosis, die durch die Proptosis noch verstärkt wird.

8. Durch die Retraktion des Ober- und Unterlides entsteht eine Lidspaltenvergrößerung, die bei ausgeprägten Veränderungen zum Lagophthalmus führen kann. Bei Unfähigkeit zum Lidschluß – vor allem nachts – entstehen Konjunktivits, Chemosis, Keratitis und Sklera-Ulzerationen.

9. Es kommt zu einem direkten Druck auf den N. opticus durch die verdickten Muskeln.

10. Häufig besteht ein erhöhter Augeninnendruck.

11. Es kommt zu einer starken Schwellung der Ober- und Unterlider durch Fettprolaps.

12. Der N. opticus übt eine Traktion auf den Discus opticus aus. Diese pathologischen Veränderungen und deren nachteilige funktionelle Auswirkungen zu mindern, ist das Ziel der transpalpebralen Dekompression durch Fettentfernung nach Olivari.

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Obere Abbildung: Der Exophthalmus und seine Folgen. In: Olivari, N. et al.: Endokrine Orbitopathie. Chirurgische Therapie, transpalpebrale Dekompression durch Fettentfernung. Kaden, Heidelberg 2001 / Untere Abbildung: Zustand nach Fettresektion. In: Olivari, N., et al.: Endokrine Orbitopathie, Chirurgische Therapie, transpalpebrale Dekommpression durch Fettentfernung. Kaden, Heidelberg 2001

Transpalpebrale Dekompression durch Fettentfernung nach Olivari

Im Jahre 1983 wurde durch N. Olivari die erste transpalpebrale Orbitadekompression durch Fettentfernung vorgenommen. Sowohl die Operation als auch der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos und zur großen Zufriedenheit der Patientin. Aufgrund des guten Operationsergebnisses wurde die damalige Lehrmeinung in Bezug auf die chirurgische Therapie der EO von N. Olivari neu überdacht. Die mäßigen Erfolge der konservativen Therapie und die risikoreichen chirurgischen Dekompressionen boten bei 90 % der Patienten keine nennenswerte Symptomverbesserung und konnten nur in seltenen Fällen einen progressiven Visusverlust vermeiden. Bisherige operative Methoden hatten nur eine Entlastung des retrobulbären Druckes angestrebt und dafür das einzig gesunde Gewebe der Orbita – die nicht betroffenen knöchernen Strukturen – geopfert. Im Gegensatz hierzu konzentriert sich die transpalpebrale Dekompression nach Olivari auf das pathologische Gewebe. Nach neuesten Erkenntnissen beinhaltet das gesamte retrobulbäre Fett ein Schilddrüsen-Antigen und viele inflammatorische Substanzen, die eine pathologische Wirkung auf die Umgebung besitzen. Die transpalpebrale Dekompression ist daher nicht nur eine rein mechanische Entlastung der komprimierten orbitalen Strukturen, sondern bedeutet auch eine erhebliche Minderung (um zirka 40 %) des erkrankten Gewebes.

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Rückbildung der Proptosis mit entferntem pathologischen Fettgewebe

Folgen der Dekompression durch Fettexstirpation

Nach der Fettexstirpation aus allen vier Quadranten und einem kleinen Anteil aus dem kaudalen Teil des Konus ergibt sich eine Reihe günstiger Effekte:

1. Der Bulbus wird in dorsaler Richtung (zurück-) verlagert.

2. Der N. opticus wird entlastet und nimmt eine entspannte Position ein. Er kann den Bulbusbewegungen leicht folgen.

3. Sämtliche Muskeln werden entspannt und dadurch wird die Augenmotilität gebessert.

4. Die Traktion des N. opticus auf die Dura mater ist aufgehoben, so daß auch der retrobulbäre Druck und das „Brennen“ sowie die Kopfschmerzen postoperativ schnell verschwinden.

5. Die Schwellung der Ober- und Unterlider ist nach der Fettentfernung beseitigt.

6. Der erhöhte Augeninnendruck wird normalisiert oder vermindert.

7. Die Spannung auf den Discus opticus ist aufgehoben.

Präoperative Vorbereitung und Aufklärung des Patienten

Da die EO fast immer im Zusammenhang mit einer Immunhyperthyreose auftritt, haben alle Patienten schon einen langen Leidensweg und zahlreiche Besuche bei Ärzten verschiedenster Fachrichtungen hinter sich. Der Weg bis zur Euthyreose alleine kann eine sehr komplizierte Angelegenheit sein. Hierbei ist der Patient wegen des vielfältigen Beschwerdebildes der EO verschiedensten therapeutischen Konzepten ausgesetzt, meistens mit nicht zufriedenstellenden Ergebnissen. Es ist verständlich, daß diese Patienten sehr verunsichert und ungeduldig sind. Für ein Beratungsgespräch muß man sich daher viel Zeit nehmen und eine sorgfältige Anamnese erheben. Besonders wichtig ist es, daß sich der Patient in einem euthyreoten Zustand befindet. Eine Ausnahme hiervon bildet lediglich ein maligner Exophthalmus. Die Dauer der Erkrankung hat einen direkten Einfluß auf das postoperativ zu erwartende Ergebnis. Je länger die Erkrankung bestand, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß die inflammatorische Phase in eine chronische Fibrosierung der betroffenen Strukturen übergegangen ist. Dies kann die Operation erheblich erschweren.

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Bestimmung der Hertelwerte

Der Patient muß augenärztlicherseits gründlichst untersucht werden. Besonders die Feststellung der aktuellen Hertel-Werte ist notwendig, so daß postoperativ eine Objektivierung des Rückganges der Protrusio möglich ist. Ein CT oder MRT ist ebenfalls dringend erforderlich, da hierdurch der Grad der Veränderung an den extraokulären Muskeln und dem Fettkörper festgestellt werden kann. Gleichzeitig müssen Gefäßanomalien, Tumore oder starke Bulbusdeformitäten, wie bei einer starken Myopie, präoperativ ausgeschlossen werden. Es darf keine Blutgerinnungsstörung vorliegen. Durch eine akute Nachblutung bestünde die Gefahr der Visusminderung oder – im schlimmsten Fall – der Erblindung.

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CT oder MR gibt wertvolle Information für die präoperative Vorbereitung

Chirurgische Technik

Die transpalpebrale Dekompression durch Fettentfernung wird in Vollnarkose durchgeführt. Es werden ein oder beide Augen – je nach Absprache – operiert. Die Operationen können ambulant oder stationär durchgeführt werden, antiphlogistische Unterstützung mit Dexamethason ist prä und postoperativ empfehlenswert.

Transpalpebraler Zugang am Oberlid

Zunächst erfolgt das Anzeichnen der Schnittführung am Oberlid. Die Inzision sollte etwa 8 – 10 mm oberhalb der Lidkante liegen.

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Anzeichnen der Schnittführung etwa 8 – 10 mm oberhalb der Lidkante

Danach wird die Haut mit 0,5 % Scandicain, kombiniert mit 1/200.000 Adrenalin, infiltriert. Es lohnt sich, die vasokonstriktorische Wirkung des Adrenalins abzuwarten (etwa 10 – 15 Minuten). Nach der Hautinzision wird der M. orbicularis oculi quer gespalten, so daß sich der Raum oberhalb der Aponeurose des M. levator palpebrae darstellt.

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Zugang zum Septum orbitale

Anschließend wird das Septum orbitale im medialen Anteil gespalten. Meistens prolabiert das vermehrte Fettgewebe nach der Spaltung des Septums von alleine. Mit einem stumpfen Instrument sollte man das Fettgewebskonglomerat stumpf vom Periost sowie dem M. Rectus medialis trennen.

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Mobilisierung des Fettdepots oben medial

Unter Schonung des M. Obliquus superior wird das Fett zur Apex verfolgt. Nach sorgfältiger Blutstillung mit einer feinen bipolaren Pinzette werden die zu entfernenden Anteile en bloc reseziert.

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Blockweise Resektion des Fettgewebes oben medial

Im extrakonalen Bereich darf das Fett „en bloc“ exzidiert werden, beim intrakonalen dagegen wäre dies äußerst gefährlich, da sich in dem zwischen Rectusmuskeln und Anulus Zinni retrobulbär liegenden Konus viele wichtige anatomische Strukturen wie N. opticus, Ganglion ciliare sowie verschiedene Blutgefäße befinden, die verletzt werden könnten. Stattdessen wird die den Konus umgebende zarte Bindegewebshülle inzidiert, wonach sich das konale Fett in den zuvor „geräumten“ extrakonalen Raum ausbreitet und der konale Raum entlastet wird, so daß der Bulbus zurücksinken kann. 1 ccm an resezierten Fettgewebe entspricht in etwa 1 mm Rückbildung der Protrusio. Im Durchschnitt wird zirka 6 ccm Fettgewebe entfernt. Eine Resektion von 3 ccm oder weniger resezierter Fettmenge bringt keine nennenswerte postoperativen Ergebnisse. Besondere Vorsicht erfordert die Präparation im mittleren Bereich. Hier befinden sich der supraorbitale Nerv und die A. und V. supraorbitalis. Diese Strukturen müssen geschont werden. Bereits die Anwendung eines Retraktors, der den N. Supraorbitalis an den Rand der Orbita drückt, kann zu einer monatelangen Sensibilitätsstörung an der Stirn führen. Im lateralen oberen Bereich der Orbita befindet sich nur eine geringe Menge von Fettgewebe, die klinisch unbedeutsam ist. Hier ist besonders auf die Tränendrüse und den N. Lacrimalis zu achten.

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Tränendrüse unter der Spitze der Bipolarpinzette

Eine sorgfältige Blutstillung und ein ausgiebiges Spülen mit einer antibiotischen Lösung sind sinnvoll. In die gut sichtbaren extraokulären Muskeln werden jeweils 2,5 mg Dexamethason injiziert.

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Interoperative Applikation der Fortekortinlösung im M. rectus medialis

Bei einer vorhandenen Oberlidretraktion erfolgt zusätzlich eine Spaltung des M. levator palpebrae sowie eine Durchtrennung des Müllerschen Muskels. Zur autologen Rekonstruktion und Verlängerung befürworten wir als Interponat Temporalisfaszie anstelle von Fascia lata. Die Struktur der Temporalisfaszie ist wesentlich feiner als die der Fascia lata. Auch der Hebedefekt im temporalen Bereich ist aus ästhetischen Gründen wesentlich akzeptabler. Als Fremdmaterial hat sich Gore-Tex bewährt. Die Länge des Interponates muß mindestens fünf mal so lang sein wie die gewünschte Verlängerung. Um z. B. eine Verlängerung von 2 mm zu erzielen, muß ein 10 mm langes Interponat verwendet werden). Das Septum orbitale und der M. orbicularis oculi werden mit 6,0 Vicryl-Einzelknopf-Fäden verschlossen; die Haut wird mit einem 5,0 Nylon-Faden intrakutan genäht.

Transpalpebraler Zugang am Unterlid

Nach der Infiltration des Unterlides mit der oben genannten Scandicain/Adrenalin-Lösung erfolgt die Schnittführung etwa 3 – 4 mm kaudal der Unterlidkante.

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Tiefer gelegte Schnittführung beugt der Entropienbildung vor

Ein schmaler Rand des M. Orbicularis oculi (weniger als 5 mm) kann später wegen einer möglichen Fibrosierung die Ursache eines Entropiums sein. Nach der Spaltung des Septum orbiculare wird nach dem gleichen Prinzip wie am Oberlid aus allen drei Kompartimenten blockweise extrakonales Fett reseziert.

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Blockweise Fettresektion unten lateral

Anschließend wird die zarte Bindegewebshülle des Konalfettes lateral und medial des M. rectus inferior inzidiert. Hierdurch prolabiert das überschüssige konale Fett hervor und füllt die teilweise entleerten extrakonalen Räume aus. Dies führt zu einer wesentlichen Entlastung und zur Reduktion der Proptosis. Eine radikale Resektion des intrakonalen Fettgewebes ist sehr gefährlich und nicht indiziert. Bestrahltes Fettgewebe reagiert wegen der bestehenden Fibrose sehr schlecht auf dieses Manöver. Dementsprechend ist auch die Rückbildung der Proptosis geringer. In die dargestellte extraokuläre Muskulatur wird wiederum gezielt jeweils 2,5 mg Dexamethason injiziert. Nach penibler Blutstillung und Spülung mit einer Antibiotikalösung wird das Septum orbitale sowie der M. Orbicularis oculi und die Haut wie oben erwähnt verschlossen.

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Intrakutaner Wundverschluß bei Beendigung der Operation

Liegt eine Unterlidretraktion vor, müssen die Retraktoren bis zur Bindehaut gespalten werden. Zusätzlich wird ein etwa 2 x 1 cm großes schalenförmiges Knorpeltransplantat von der Ohrmuschel mit 6,0 Vicryl-Einzelknopfnähten fixiert.

Postoperative Behandlung, Ergebnisse und Komplikationen

Postoperative Behandlung

Am 1. postoperativen Tag bekommt der Patient nochmals 250 mg Dexamethason. Mehrmals täglich werden Inflanegent-Augentropfen appliziert. Das operierte Auge sollte besonders die ersten drei bis vier Tage gekühlt werden. Es ist charakteristisch, daß der postoperative Verlauf absolut schmerzfrei ist. Treten persistierende Schmerzen auf, wird eine operative Revision erforderlich. Die Hautfäden werden am 6. Tag gezogen. Nach 10 Tagen bildet sich die Schwellung allmählich zurück. Bis das Endergebnis beurteilt werden kann, dauert es jedoch mindestens 3 bis 5 Monate. In den ersten postoperativen Wochen klagen die Patienten öfter über „verschwommenes Sehen” oder wechselhafte Diplopie. Diese Erscheinungen sind jedoch reversibel.

Postoperative Ergebnisse

Die häufigsten Symptome eines unter der EO leidenden Patienten sind Protrusio bulbi, Visusminderung, Diplopie, retrobulbärer Druck, Kopfschmerzen, Photophobie und Lidschwellungen. 511 Patienten wurden drei Jahre nach der Operation in der Abteilung für Plastische Chirurgie in Wesseling untersucht. Einzelne Patienten werden statistisch bewertet und zu einem langfristigen Ergebnis zusammengefaßt.

Protrusio

Bei 511 Patienten betrug die präoperative Protrusio durchschnittlich 22,3 mm. Postoperativ sank der Durchschnittswert auf 16 mm. Die Protrusio ist bereits nach Abschluß der Operation deutlich und sichtbar verringert.

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Rückbildung der Proptosis unmittelbar postoperativ

Durch die postoperative Schwellung ist die Protrusio in den ersten 3 bis 12 Wochen zu objektivieren. Durchschnittlich wurden aus der Orbita 6,2 cm3 entfernt. Nach der statistischen Auswertung zeigt sich eine Relation zwischen Rückbildung der Protrusio und der Menge des entfernten Fettes. Das Verhältnis kann mit 1:1 (1 mm Rückgang pro 1 cm3 entferntes Fett) angegeben werden. Hier handelt es sich lediglich um das Ergebnis der statistischen Auswertung, während die individuellen Untersuchungen eine Diskrepanz der Relation 1:1 gezeigt hat. Dauer der Erkrankung (mehr als 5 Jahre) und sehr ausgeprägte Muskelverdickung spielen hierbei eine wesentliche Rolle.

Visusminderung

Unter den behandelten Patienten war kein Fall der Visusminderung oder sogar Erblindung zu verzeichnen. Sehr häufig klagten Patienten im zweiten bis dritten Monat über „verschwommenes Sehen“.Dieses Symptom tritt jedoch nur vorübergehend auf.

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Diplopie

72 % der Patienten wiesen präoperativ verschieden stark ausgeprägte Diplopie auf. Die Diplopie wurde in Primärposition sowie in beiden horizontalen und vertikalen Winkeln diagnostiziert. Bei 64 % der Patienten war die Diplopie etwa nach drei Monaten rückläufig. Bei 17 % der Patienten besserte sich der Zustand – die Doppelbilder traten in der primären Position nicht mehr auf. Bei horizontalen und vertikalen Augenbewegungen können diese aber bis zu einem bestimmten Grade noch persistieren. Meist kommen diese Patienten im täglichen Leben zurecht, so daß keine weiteren Maßnahmen zu Korrektur erforderlich sind. 19 % der Patienten hatten keine Änderungen nach der Operation registriert. 143 Patienten hatten keine Doppelbilder vor der OP. 4% hatten Doppelbilder entwickelt, die auch über sieben Monate hinaus persistieren. Nach einem Jahr war hier eine operative Korrektur des Strabismus erforderlich.

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Retrobulbärer Druck und Kopfschmerzen

Beide Symptome – retrobulbärer Druck und Kopfschmerzen – gelten als die intensivsten Symptome der EO. Sie sind auf die Verlagerung des Bulbus nach ventral zurückzuführen. Damit entsteht eine Traktion des N. opticus auf die Dura mater, die den Nerv umhüllt. Lediglich 1 bis 2 % der Patienten hat postoperativ keine Änderungen bezüglich der beiden Symptome angegeben (lange Anamnese, starke Muskelverdickung).

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Photophobie

Die Photophobie entsteht durch Exposition der Sklera. Sie ist immer ein Anzeichen des inkompletten Lidverschlusses. Bei lediglich 16 % der Patienten hat sich postoperativ keine Änderung gezeigt. Ergänzende Lidoperationen waren erforderlich, um einen kompletten Lidverschluß zu gewährleisten.

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Lidschwellung

Die „Lidschwellung“ ist im Falle einer EO selten eine Schwellung im wahren Sinne des Wortes, meist handelt es sich hierbei um eine Fetthernie. Diese ist logischerweise nach Fettresektion entweder vollkommen beseitigt oder mindestens stark reduziert.

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Komplikationen

Die Komplikationsrate ist nach der transpalpebralen Dekompression relativ gering. Einige Male kam es postoperativ zu Nachblutungen. Rasch zunehmende Protrusio kombiniert mit starken Schmerzen ist ein sehr ernst zu nehmendes Zeichen. Sofortige operative Revision ist in diesen Fällen angesagt. Mehrere Stunden andauernden Drucks durch ein Hämatom kann zur Erblindung oder zu starker Beeinträchtigung der Sehkraft führen. Infektionen sind zunächst selten, aber ebenso ein alarmierender Zustand. Schwellung mit pochenden Schmerzen sind Grund genug für eine OP-Revision. Als Gegenmaßnahme haben die Spülung mit Antibiotika und die passive Drainage mit einer Silikon-Lasche sowie i. v. Gabe der Antibiotika in beiden Fällen zur kompletten Genesung ohne unerwünschte Folgen geführt. Eine relativ harmlose und meistens vorübergehende Komplikation ist die Parese des N. Supertrochlearis mit darauf folgenden Sensibilitätsstörungen im Stirnbereich. Interoperative Kompression des Nervs am Rande der Orbita mit den Retraktionshaken ist die Ursache hierfür. Nach langjährigem Weiterverfolgen hat sich bei der Bewertung der gesamten Resultate bestätigt, daß die transpalpebrale Dekompression ein sehr zuverlässiges therapeutisches Konzept zur Behandlung der EO darstellt.

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Obere Abbildung: Patientin, 24 Jahre alt, Anamnese 3 Jahre, Hertelwerte: 26 rechts, 25 links

Untere Abbildung: Ein Jahr nach der Operation, Hertelwerte: 18 rechts, 18 links, beschwerdefrei

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Obere Abbildung: Patientin, 49 Jahre alt, Anamnese 1 Jahr, Hertelwerte: 24 rechts, 23 links

Untere Abbildung: 1,5 Jahre nach der Operation, Hertelwerte: 18 rechts, 18 links, beschwerdefrei

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