Schilddrüsenkrebs – Wenn Radiojod nicht mehr wirkt, helfen neue Medikamente
Ein differenzierter Schilddrüsenkrebs, bei dem die Tumorzellen dem normalen Schilddrüsengewebe noch ähneln, lässt sich meist durch Operation und Radiojod heilen. Manche Schilddrüsenkrebszellen nehmen das Radiojod jedoch nicht auf. Wenn der Krebs sich dann ausbreitet, können neue Wirkstoffe wie der Multikinase-Hemmer Lenvatinib die Erkrankung erneut kontrollieren.
Wie diese neuen Medikamente die Aktivität von Signalmolekülen und dadurch das Wachstum von Tumorzellen bremsen, wann die Therapie indiziert ist und welche Nebenwirkungen auftreten können, erläutern Experten auf der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) am 18. März 2015 in Lübeck.
In Deutschland diagnostizieren Ärzte pro Jahr bei etwa 7 200 Menschen Schilddrüsenkrebs. „Bei den meisten Patienten werden die Tumoren rechtzeitig bemerkt, sodass die Heilungschancen exzellent sind“, berichtet Professor Dr. Dr. med. Dagmar Führer, Direktorin der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen am Universitätsklinikum Essen. Todesfälle sind insgesamt selten. Im Jahr 2010 starben etwa 700 Menschen an Schilddrüsenkrebs.
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„Bei Patienten mit einem progressiven, also fortschreitenden Schilddrüsenkarzinom, das mit Radiojod nicht behandelt werden kann, waren die Behandlungsoptionen der Patienten bislang sehr begrenzt“, sagt Professor Führer. Klassische, traditionelle Chemotherapien, die bei anderen Krebsformen gute Ergebnisse erzielen, seien bei Schilddrüsenkrebs nahezu wirkungslos. Mit der Entwicklung von sogenannten Multikinase-Inhibitoren, die sowohl im Tumor als auch in der Tumorumgebung Wachstumssignale ausschalten, habe sich die Situation wesentlich geändert. Der Arzneistoff Sorafenib, 2006 zur Behandlung von Nierenkrebs eingeführt, hat kürzlich in einer klinischen Studie bei Patienten mit Schilddrüsenkrebs das sogenannte progressionsfreie Überleben, das heißt der Zeitraum, in dem eine definierte Tumorläsion nicht wächst, auf durchschnittlich 10,8 Monate verlängert, gegenüber 5,8 Monaten unter Placebo und ist seit Sommer 2014 auch zur Behandlung von Patienten mit radiojodrefraktärem Schilddrüsenkrebs zugelassen. Unter Lenvatinib, ebenfalls ein Multikinase-Inhibitor, nahm das sogenannte progressionsfreie Überleben sogar von 3,6 auf durchschnittlich 18,3 Monate zu. Zudem zeigten 65 Prozent der Patienten ein Ansprechen auf die Lenvatinib Therapie, in zwei Prozent der Fälle kam es zu einer vollständigen Rückbildung aller Tumorabsiedlungen. „Dies ist in der Krebstherapie ein beachtliches Ergebnis“, sagt DGE-Mediensprecher Professor Dr. med. Dr. h. c. Helmut Schatz aus Bochum. Der Experte rechnet noch in diesem Sommer mit der Einführung von Lenvatinib in Europa. In den USA wurde das Mittel bereits im Februar zugelassen.
Der breite Angriffspunkt der Multikinase-Inhibitoren hat eine Kehrseite: Die Behandlung geht mit einer Reihe von Nebenwirkungen einher: Bluthochdruck, Durchfälle, Erschöpfung, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Gewichtsabnahme sind häufig, und wie bei anderen Kinase-Inhibitoren kann es zu schmerzhaften Schwellungen und Rötungen der Hände und Füße kommen. Diese Nebenwirkungen lassen sich jedoch beherrschen „Wichtig ist, dass die Indikation richtig gestellt ist und die Therapie gut kontrolliert wird. Deshalb sollten die Patienten von einem Spezialisten, am besten von einem Endokrinologen mit onkologischem Schwerpunkt, behandelt werden“, empfiehlt Professor Schatz. Bei richtiger Indikationsstellung sehen die Experten die neuen Multikinase-Inhibitoren als wichtigen Fortschritt für die Behandlung des radiojodrefraktären Schilddrüsenkarzinoms, zumal weitere Substanzen in der Entwicklung sind.
M. Schlumberger et al.: Lenvatinib versus placebo in radioiodine-refractory thyroid cancer. New Engl. J. Med. 2015. 372:621-630. http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1406470#t=article
Quelle: idw-online.de (Link geprüft am 13.09.23)
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