Irenat® – Herstellung aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt
Lieferengpass bei wichtigem Medikament, das Patienten mit Schilddrüsenerkrankungen vor jodhaltigem Kontrastmittel schützt.
Blutdruckmittel, Entzündungshemmer, Antibiotika – mehrmals täglich gehen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Meldungen über Lieferschwierigkeiten ein, die unterschiedlichste Medikamente betreffen. Nicht immer resultiert daraus ein Versorgungsengpass, der die Mittel auch in der Anwendung knapp werden lässt. Einen solchen befürchtet nun jedoch der Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner (BDN) für ein Präparat, das unter anderem bei vielen radiologischen und kardiologischen Untersuchungen dringend benötigt wird. Wie der BDN mitteilt, sind die unter dem Handelsnamen Irenat® zugelassenen Tropfen essentiell, um bei solchen Untersuchungen Patientinnen und Patienten mit Schilddrüsenerkrankungen zu schützen. Beunruhigend sei, dass es sich nicht um einen kurzfristigen Lieferengpass handele – die BfArM-Meldung umfasst die kommenden fünf Jahre.
Jodhaltige Kontrastmittel, wie sie etwa bei Computertomografien, Herzkatheteruntersuchungen oder Kardio-CTs eingesetzt werden, sind in der Regel sehr gut verträgliche Substanzen, die vom Körper rasch wieder ausgeschieden werden. Bei manchen Patientinnen und Patienten allerdings kann das darin enthaltene Jod zu einer schwerwiegenden Fehlfunktion der Schilddrüse führen. „Dieses Risiko besteht hauptsächlich bei Menschen, die unter einer Schilddrüsenautonomie oder bereits unter einer Überfunktion der Schilddrüse leiden“, sagt Professor Dr. med. Detlef Moka, Vorsitzender des BDN. Bei ihnen kann die erhöhte Jodaufnahme eine plötzliche, schwere Hyperthyreose auslösen: Es werden große Mengen von Schilddrüsenhormonen freigesetzt, die zu Schlafstörungen, Schwitzen, starker Unruhe und Übelkeit führen, aber auch zu Herzrasen und zum Teil zu schweren Herzrhythmusstörungen. „Eine mögliche ‚thyreotoxische‘ Krise kann sogar lebensbedrohlich sein“, betont Moka.
Um diese Gefahr zu vermeiden, erhalten Risikopatientinnen und -patienten vor und nach der Kontrastmittelgabe eine medikamentöse Prophylaxe mit Irenat®-Tropfen. Das Präparat enthält den Wirkstoff Natrium-Perchlorat, der die Aufnahme von Jod in die Schilddrüsenzellen für einen bestimmten Zeitraum blockiert und damit die Überproduktion von Schilddrüsenhormonen verhindert. „Damit lässt sich eine jodinduzierte, schwere Überfunktion der Schilddrüse vermeiden“, erläutert Moka. Das Mittel werde in vielen Bereichen der bildgebenden Diagnostik daher dringend benötigt. Doch nach Auskunft der Hersteller-Firma Alliance Pharma (Ireland) Limited reichen die aktuell noch vorhandenen Lagerbestände für Europa voraussichtlich nur noch bis Ende des Jahres 2023. „Ein zugelassenes Ersatzmedikament gibt es derzeit nicht“, sagt Moka. „Und vor der Verwendung von Chemikalien aus dem Ausland statt zugelassener Medikamente wird ausdrücklich gewarnt, da für mögliche Nebenwirkungen Versicherungen in der Regel nicht haften.“
Stünde Irenat® nicht mehr in ausreichender Menge zur Verfügung, müsste die Sicherheit der Patientinnen und Patienten auf andere Weise sichergestellt werden. So sollte vor der Anwendung jodhaltiger Kontrastmittel bei Risikopatientinnen und -patienten mittels einer Schilddrüsenszintigrafie abgeklärt werden, ob eine bis dato unerkannte Schilddrüsenautonomie ausgeschlossen werden kann. „Eine einfache Blutuntersuchung oder eine Ultraschalluntersuchung der Schilddrüse reicht hierfür nicht aus“, sagt Moka. Alternativ könnte man auf das Kontrastmittel unter Umständen verzichten oder auf andere Bildgebungsverfahren ausweichen – etwa eine Magnetresonanztomographie (MRT), die ohne jodhaltige Kontrastmittel auskommt. „Bei Krebserkrankungen käme auch eine PET/CT-Untersuchung in Betracht, bei der eine hervorragende Diagnostik auch ohne jodhaltiges Kontrastmittel möglich ist“, erklärt Moka. „Nicht zuletzt kann ein autonomer Schilddrüsenknoten vor der fraglichen Untersuchung entfernt oder anderweitig ausgeschaltet werden“, so Moka. All dies seien jedoch Lösungen, die die Diagnostik verzögerten oder erschwerten. Eine breite Prophylaxe mit Irenat® sei dem vorzuziehen.
Als Grund für den Lieferengpass nennt das BfArM ausschließlich wirtschaftliche Gründe: Das irische Pharma-Unternehmen Alliance steigt aus der Produktion aus, weil sie sich für das Unternehmen nicht rentiert. „Aktuell kann das Produkt zum gesetzlich festgelegten Herstellerabgabepreis von 7,23 €/Packung nicht hergestellt werden“, heißt es in der BfArM-Mitteilung. Es sei zwar ein neuer Hersteller gefunden worden, ihm sei die Produktion zum vorgegebenen Preis jedoch ebenfalls nicht möglich. Auch mit Alliance sei das Bundesministerium für Gesundheit nach wie vor im Gespräch, um doch noch eine wirtschaftliche Lösung zu finden.
„Wir appellieren dringend an den Gesetzgeber, den Herstellern eine wirtschaftliche Produktion zu ermöglichen“, sagt Moka. Dann bestehe die Hoffnung, dass sich der Lieferengpass deutlich vor Ablauf der nun eingeräumten Fünf-Jahres-Frist beheben lasse – und dass ein Versorgungsengpass in der Praxis abgewendet werden könne.
Quelle: berufsverband-nuklearmedizin.de
Nachtrag am 10.12.23: → Lieferengpass Irenat®: Mit Natriumperchlorat-Lösung 300 mg/ml Dyckerhoff steht kurzfristig eine Alternative zur Verfügung!