Möglicher Zusammenhang zwischen ADHS und Erkrankungen der Schilddrüse

Wenn hormonelle Störungen neuropsychische Symptome nachahmen (oder verstärken)

Aufmerksamkeitsdefizitstörungen (ADHS) und Schilddrüsenfehlfunktionen sind zwei ganz unterschiedliche Krankheitsbilder – aber sie können sich durch sehr ähnliche Symptome äußern. Konzentrationsprobleme, emotionale Reizbarkeit, Müdigkeit, Antriebslosigkeit oder Schlafstörungen treten bei beiden Erkrankungen auf. Deshalb sollte bei einem ADHS-Verdacht unbedingt auch eine gründliche Schilddrüsendiagnostik erfolgen – bevor eine dauerhafte medikamentöse Therapie in Betracht gezogen wird.

1. Überschneidende Symptome erschweren die Diagnose

Die Symptome einer Schilddrüsenunterfunktion – etwa infolge einer Hashimoto-Thyreoiditis – sind häufig unspezifisch und können leicht als ADHS fehlgedeutet werden:

  • Konzentrationsprobleme
  • Müdigkeit und Erschöpfung
  • Antriebslosigkeit
  • Stimmungsschwankungen
  • emotionale Überempfindlichkeit
  • Reizbarkeit oder innere Unruhe
  • Schlafstörungen

Das gilt sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für Erwachsene. Umgekehrt können Schilddrüsenerkrankungen auch als Begleiterkrankung bei ADHS auftreten – was die Unterscheidung zusätzlich erschwert.

Wichtig: Eine einfache TSH-Bestimmung reicht zur Abklärung nicht aus! Empfohlen wird eine erweiterte Schilddrüsendiagnostik mit TSH, fT3, fT4, TPO-Antikörpern und gegebenenfalls einer Sonografie.

2. Fehldiagnosen sind keine Seltenheit

In der Praxis kommt es immer wieder zu Fällen, bei denen zunächst ADHS diagnostiziert und behandelt wurde – obwohl die Ursache der Symptome letztlich in einer Schilddrüsenerkrankung lag.

Ein Beispiel aus der Literatur:

„Nicht wenige Kinder und Jugendliche werden jahrelang fälschlicherweise auf ADS-Syndrom behandelt, obwohl eigentlich eine autoimmune Schilddrüsenkrankheit besteht.“
(Brakebusch & Heufelder, 2004)

Auch aus persönlichen Rückmeldungen von Betroffenen ist bekannt, dass sich nach Diagnosestellung und Behandlung einer Hashimoto-Thyreoiditis viele der vermeintlichen ADHS-Symptome deutlich gebessert oder sogar vollständig zurückgebildet haben.

Symptom Typisch für ADHS Charakteristisch für Schilddrüsenprobleme
Konzentrationsschwäche 🟢 Häufig 🟢 Möglich bei Hypo-/Hyperthyreose
Reizbarkeit / emotionale Labilität 🟢 Sehr häufig 🟢 Möglich (besonders bei Hashimoto)
Innere Unruhe / Hyperaktivität 🟢 Leitsymptom 🟢 Häufig bei Schilddrüsenüberfunktion
Erschöpfung / Antriebslosigkeit 🟡 Gelegentlich 🟢 Häufig bei Schilddrüsenunterfunktion
Stimmungsschwankungen / depressive Verstimmung 🟢 Möglich 🟢 Häufig (besonders bei Hashimoto)
Gewichtsveränderungen 🟡 Selten 🟢 Sehr häufig

3. ADHS und Hashimoto: Häufiger gemeinsam als gedacht?

Dass Schilddrüsenerkrankungen und ADHS gemeinsam auftreten können, ist medizinisch anerkannt. Ob sie besonders häufig miteinander vergesellschaftet sind, ist hingegen noch nicht abschließend geklärt.

Einige ältere Studien untersuchten die Schilddrüsenfunktion bei ADHS-Betroffenen, unter anderem:

Weiss et al. (1993): Attention-deficit hyperactivity disorder and thyroid function, J Pediatr

Toren et al. (1997): Thyroid function in attention deficit and hyperactivity disorder, J Psychiatr Res

Beide Studien lieferten Hinweise auf mögliche Zusammenhänge, konnten aber keinen klaren kausalen Zusammenhang zwischen ADHS und Schilddrüsenerkrankungen feststellen. Die Datenlage ist insgesamt begrenzt und uneinheitlich.

4. Schilddrüsenhormone beeinflussen den Gehirnstoffwechsel

Ein möglicher Mechanismus, der die Verbindung zwischen Schilddrüsenerkrankungen und ADHS erklären könnte, ist die Rolle der Schilddrüsenhormone im zentralen Nervensystem.

Diese beeinflussen die Bildung und Verfügbarkeit wichtiger Neurotransmitter wie Dopamin und Noradrenalin – beides Botenstoffe, die bei ADHS typischerweise aus dem Gleichgewicht geraten. Eine gestörte Schilddrüsenfunktion kann daher theoretisch zu ähnlichen Symptomen führen wie ADHS oder diese verstärken.

5. Vorsicht vor vereinfachenden Erklärungsmodellen

Einige Ratgeber und populärwissenschaftliche Bücher stellen vereinfachende Thesen über den Zusammenhang zwischen Hormonen und ADHS auf, etwa:

„Bei ADHS handelt es sich meist um eine gesteigerte Aktivität der Schilddrüse.“ (B. Rieger, 2007)

„Die Ursache für ADHS ist ein Hormonungleichgewicht: zu wenig Progesteron, zu viel Insulin und Adrenalin.“ (M. Platt, 2009)

Solche Aussagen sind wissenschaftlich nicht belegt und sollten kritisch hinterfragt werden. Sie ignorieren die Komplexität beider Krankheitsbilder und bieten keine belastbare Grundlage für Therapieentscheidungen.

Ein möglicher Zusammenhang zwischen ADHS und Schilddrüsenerkrankungen – insbesondere der Hashimoto-Thyreoiditis – ist plausibel, aber derzeit nicht eindeutig wissenschaftlich belegt.

Was aber klar ist:

  • Es gibt symptomatische Überschneidungen, die zu Fehldiagnosen führen können.
  • Eine gründliche Schilddrüsendiagnostik ist vor der ADHS-Diagnose unbedingt zu empfehlen.
  • Beide Erkrankungen können auch parallel auftreten.
  • Vereinfachte Erklärungsmodelle ohne fundierte Studienlage helfen nicht weiter.

Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist ein genauer Blick wichtig – nicht zuletzt, um unnötige Medikationen zu vermeiden und eine gezielte Behandlung zu ermöglichen.


Letzte Aktualisierung: 17. September 2025

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