Hashimoto als Lifestyle? Der „Bärendienst“ der selbsternannten Expertinnen

In den letzten Jahren ist ein bemerkenswerter Trend zu beobachten: Die Autoimmunerkrankung Hashimoto-Thyreoiditis hat sich aus der relativen medizinischen Nische in den medialen Mittelpunkt bewegt. Dazu beigetragen haben insbesondere sogenannte selbsternannte „Hashimoto-Expertinnen“ und andere InfluencerInnen, die in Büchern, sozialen Medien und Talkshows ihre persönliche Krankengeschichte erzählen und damit ein breites Publikum erreichen.

Zweifelsohne ist es wichtig, dass chronische Erkrankungen Sichtbarkeit bekommen – gerade Autoimmunerkrankungen wie Hashimoto, die lange Zeit als „Frauenleiden“ bagatellisiert wurden, profitieren von öffentlicher Aufmerksamkeit. Doch die Art und Weise, wie Hashimoto inzwischen medial inszeniert wird, wirft berechtigte Fragen auf – etwa ob diese Art von Aufklärung Betroffenen tatsächlich hilft oder im Gegenteil einen Bärendienst erweist.

Von der Erkrankung zur Marke

Was bei vielen selbsternannten Hashimoto-Expertinnen auffällt, ist die starke Personalisierung, Selbstdarstellung und Emotionalisierung der Erkrankung. Die persönliche Leidensgeschichte wird oft mit einem Appell verbunden:

„Ich wurde jahrelang nicht ernst genommen, dann habe ich die einzig wahre Lösung entdeckt – jetzt bin ich wieder vollständig gesund und ich brauche auch keine Schilddrüsenhormone mehr.“

Dabei verschwimmen allerdings oft die Grenzen zwischen persönlichem Erfahrungsbericht, therapeutischem Anspruch und geschäftlichem Interesse. Kostenpflichtige Online-Coachings und überteuerte Seminare mit Heilsversprechen werden in einem Atemzug mit „gesundheitlicher Aufklärung“ angeboten.

Dadurch entsteht ein problematisches Narrativ: Hashimoto wird nicht mehr nur als medizinische Diagnose verstanden, sondern auch als Lifestyle-Label – eine Erklärung für Erschöpfung, Gewichtszunahme oder psychischen Problemen, die oft ohne differenzierte ärztliche Diagnostik herangezogen wird. Dies öffnet Tür und Tor für Fehldiagnosen, Selbstdiagnosen und eine Entwertung der tatsächlichen Krankheitsrealität Betroffener.

Der Schaden für die traditionelle Selbsthilfe

Die klassische Schilddrüsenselbsthilfe – wie sie etwa in Patientenverbänden oder durch unabhängige medizinische Aufklärung geleistet wird – basiert auf fundierten Informationen, Austausch mit FachärztInnen und wissenschaftlich validierten Erkenntnissen. Diese differenzierte, oft mühsame Arbeit wird durch die mediale Inszenierung der Erkrankung zunehmend untergraben. Wenn Hashimoto als „Modekrankheit“ wahrgenommen wird, steigen auch Vorurteile gegenüber echten PatientInnen: Sie würden sich nur „anstellen“, „jeden Trend mitmachen“ oder „nur müde sein wollen“.

Gleichzeitig geraten evidenzbasierte medizinische Ansätze unter Druck: Es entstehen Parallelwelten von „alternativen Wahrheiten“, die ÄrztInnen und EndokrinologInnen misstrauisch gegenüberstehen – nicht selten zum Nachteil der PatientInnen, die ernst genommen werden wollen.

Fazit: Selbstverständlich ist es legitim, persönliche Erfahrungen öffentlich zu machen – gerade im Kontext chronischer Erkrankungen. Doch wer aus seiner Geschichte eine Marke macht und diese kommerziell vermarktet, übernimmt auch Verantwortung. Wenn die mediale Aufmerksamkeit für die Hashimoto-Thyreoiditis zu einer Banalisierung der Erkrankung führt, wenn unkritisch fragwürdige Diagnosen übernommen und unseriöse Heilversprechen verbreitet werden, dann wird Betroffenen nicht geholfen, sondern geschadet.

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