Schwieriges Arzt-Patienten-Verhältnis

Unter den unzähligen E-Mails, die ich von Schilddrüsenerkrankten (insbesondere Hashimoto-Thyreoiditis-PatientInnen) im Zusammenhang mit dieser Homepage erhalte, gibt es kaum eine, in denen mir keine negativen Arzterfahrungen geschildert werden. Viele Betroffene fühlen sich von ihren ÄrztInnen schlecht informiert, medizinisch unzureichend betreut, vorschnell auf die Psycho-Schiene abgeschoben und mit ihren gesundheitlichen Problemen allein gelassen. Nicht zuletzt dadurch ist der Markt an teilweise sehr teuren Gesundheitscoaches, die sich auf die Unterstützung von SchilddrüsenpatientInnen spezialisiert haben, massiv gewachsen.

Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist ein wichtiger Bestandteil des Gesundheitssystems und spielt eine entscheidende Rolle für die Qualität der medizinischen Versorgung. Es beschreibt die Beziehung zwischen einem Arzt oder einer Ärztin und einem Patienten oder einer Patientin und umfasst Aspekte wie Vertrauen, Kommunikation und Zusammenarbeit. In dieser Beziehung geht es darum, gemeinsam die bestmögliche Behandlung zu finden und umzusetzen.

Gründe für Probleme im Arzt-Patienten-Verhältnis

Insbesondere bei den autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen Morbus Basedow und Hashimoto-Thyreoiditis ist das Arzt-Patienten-Verhältnis aber leider oft nicht besonders gut. Dafür, dass die SchilddrüsenpatientInnen so unzufrieden sind, gibt es sehr viele unterschiedliche Gründe. Beispielsweise …

  • Die Schilddrüsenerkrankung wurde erst nach einem längeren Leidensweg entdeckt oder lange falsch behandelt.
  • Bagatellisierung der Erkrankung der Schilddrüse, obwohl sie die Lebensqualität teilweise erheblich und dauerhaft einschränkt.
  • Die Beurteilung der Laborwerte steht im Vordergrund, während das individuelle Patientenbefinden vernachlässigt oder scheinbar gänzlich ignoriert wird.
  • Regelmäßige Kontrolluntersuchungen (Laborwerte, Schilddrüsensonografie) werden verweigert oder müssen als IGeL-Leistung selbst bezahlt werden.
  • Trotz massiver Beschwerden monatelange Wartezeiten auf Facharzttermine (Endokrinologen, Nuklearmediziner).
  • Keine Übernahme der Kosten notwendiger Medikamente, z.B. Thyrogen® in der Schilddrüsenkrebstherapie.
  • Verweigerung weitergehender Untersuchungen (Rheuma-Diagnostik, Analyse anderer Hormone).
  • Schlecht organisierter Übergang / Weiterbetreuung nach einem stationären Klinikaufenthalt.
  • Ablehnung gut informierter Patienten (Gefühl der Entmündigung).
  • Ständige Klagen der ÄrztInnen und Ärzte über mangelnde Bezahlung, Arbeitsbelastung und Budgetprobleme.

Eigene „schlechte“ Erfahrungen mit ÄrztInnen

Meine persönlichen Erfahrungen sind ähnlich negativ. Trotz charakteristischer Symptomatik, objektivierbarer Befunde (Blutdruck, Blutfettwerte usw.) sowie äußerlich deutlich sichtbarer Anzeichen einer Hypothyreose wurde jahrelang kein einziger Schilddrüsenparameter bestimmt geschweige denn meine Schilddrüse mit Sonografie oder Szintigrafie genauer untersucht. Mit der verschleppten Diagnose erfolgte zwar zeitgleich der leider fehlerhafte sowie unzureichende Behandlungsbeginn, aber auch das von den beteiligten ÄrztInnen in derartigen Fällen forcierte „Vertuschen – Verleugnen – Verharmlosen“. Mir selbst war zu dem damaligen Zeitpunkt noch überhaupt nicht klar, welcher „Ärztepfusch“ mir angetan worden ist – ich war nach einem jahrelangen Leidensweg schon die letzte Zeit vor der Diagnose arbeitsunfähig, schwer krank und viel zu erschöpft um genauer nachzufragen oder mich zur Wehr zu setzen.

Ich unterstelle keiner Ärztin / keinem Arzt die Absicht mir oder anderen PatientInnen bewusst Schaden zufügen zu wollen, aber es ist offensichtlich, dass die überwiegende Mehrzahl der ÄrztInnen für die Behandlung der autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen nicht ausreichend qualifiziert ist. Gerade weil ich selbst in Bezug auf Schilddrüsenerkrankungen (nach 20 Jahren ehrenamtlichen Engagements in der Schilddrüsenselbsthilfe) sehr gut informiert bin, bemerke ich immer wieder Situationen, in denen ÄrztInnen ohne den geringsten Selbstzweifel falsches oder veraltetes „Wissen“ offenbaren und mit fadenscheinigsten Begründungen notwendige Untersuchungen und Behandlungen verweigern. Wie ich damit souverän umgehen soll – ich weiß es bis heute nicht! Ich versuche jeder Ärztin / jedem Arzt unvoreingenommen gegenüberzutreten und bin bereit mir ihre / seine Meinung anzuhören. Aber was mich persönlich betrifft, bin ich mir auch sicher: Ob die Ärztin / der Arzt über meine Behandlung entscheidet oder ich – sämtliche Konsequenzen muss ich an Körper, Geist und Seele ertragen. Also entscheide ich auch was gemacht wird! Aber wer weiß (Motto: jedem Umzug folgt ein Arztwechsel) … vielleicht erlebe ich ja mal eine positive Überraschung?!

Die Hashimoto-Thyreoiditis ist keine psychische Erkrankung. Und doch führen weit verbreitete Beschwerden wie innere Unruhe, Unsicherheit, Selbstzweifel, Schlafstörungen und Erschöpfungszustände gerade im Anfangsstadium der Autoimmunerkrankung häufig zu entsprechenden Fehldiagnosen ( Angststörung, Burnout, Depression). Für die betroffenen SchilddrüsenpatientInnen bedeutet das oftmals den Beginn eines jahreslangen Leidensweges.

Das Thema psychische Fehldiagnosen brennt vielen SchilddrüsenpatientInnen „unter den Nägeln“ – wenn Sie mehr darüber lesen möchten, ist das → Spezial: Schilddrüse und Psyche ein guter Einstieg.

Kritik ist allzu oft unerwünscht

Mir ist bewusst, dass sich bereits diese Äußerungen an der Grenze eines Tabubruchs bewegen. Aber ich bin überzeugt davon, dass unser Gesundheitssystem nur deshalb so schlecht ist, weil schon lange nicht mehr ehrlich miteinander umgegangen und gemeinsam an konstruktiven Lösungen gearbeitet wird. Auf der Strecke bleibt der Patient … kein Bittsteller von dem man unterwürfige Dankbarkeit zu erwarten hätte, sondern jemand der dieses Gesundheitssystem mit seinen Krankenkassenbeiträgen finanziert und dadurch einen berechtigten Anspruch auf eine anständige Behandlung hat.

Im Hinblick darauf: Wer, wenn nicht wir Selbsthilfevertreter, hat das Recht und die Möglichkeit auf Missstände hinzuweisen? Das hat nichts mit Bitterkeit oder persönlichen Rachefeldzügen zu tun, sondern im Gegensatz zu allen anderen Gruppen im Gesundheitssystem sind die meisten von uns in ihrer Meinungsäußerung unabhängig, d.h. wir sind weder an einen zweifelhaften Ehrenkodex gebunden oder Vorgesetzten zu Rechenschaft verpflichtet, noch denken wir karriere- oder profitorientiert. Wir wollen, dass sich etwas ändert, weil die aktuelle Situation für viele von uns unerträglich ist.

Überzogenes Anspruchsdenken in Zeiten der Geldknappheit und allgegenwärtiger Unzufriedenheit der deutschen Ärzteschaft werden Sie jetzt vielleicht denken. Ärzte leiden unter einer sehr hohen Arbeitsbelastung und immensem Zeitdruck, können mit Verwaltungsaufwand und Kostendruck kaum noch umgehen, beklagen geringe Bezahlung (als ohnehin schon Topverdiener unter den Akademikern?) und wirtschaftliche Existenzängste … Genau deshalb wäre es nicht wenigen lieber, der Umgang mit uns Selbsthilfevertretern wäre möglichst bequem. Kostenlose Selbsthilfeangebote als Lückenbüßer um die Schwachstellen im maroden Gesundheitssystem auszugleichen sind immer willkommen. Aber die Diagnose- und Therapierichtlinien weichen in Bezug auf die autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen so gravierend von der Realität ab, dass jeder Versuch der angepassten Schönfärberei ein weiterer Skandal wäre. Und nicht zuletzt – jede zu spät diagnostizierte und falsch behandelte Schilddrüsenerkrankung kostet nicht nur unser Gesundheitssystem sondern jeden Einzelnen von uns betroffenen PatientInnen sehr hohe Geldsummen!

Nein – es folgt jetzt kein Rundumschlag. An dieser Stelle möchte ich sogar ausdrücklich denjenigen ÄrztInnen danken, die uns verständnisvoll zuhören, unsere Probleme ernst nehmen, unermüdlich versuchen uns im Rahmen der medizinischen Möglichkeiten zu mehr Lebensqualität zu verhelfen, Forschungsprojekte initiieren oder die mit ihrem Fachwissen Internetseiten wie diese hier bereichern oder Patientenvorträge halten! Die/den ein oder andere/n Ärztin/Arzt hoffe ich zum Nachdenken anregen können.

Schilddrüse SDG-Tipp Leseempfehlung

Bitte nehmen Sie sich einen Moment Zeit für den → Forderungskatalog der Schilddrüsenselbsthilfe. Vielen Dank! Es ist der Versuch auf die für etliche SchilddrüsenpatientInnen schwierige Situation aufmerksam zu machen und die vielfältigen Probleme wenigstens kurz zu thematisieren.


Nicole Wobker „Psychische Aspekte der Diagnose Hashimoto-Thyreoiditis “ (Amazon-Partnerlink)

Die Hashimoto-Thyreoiditis ist keine psychische Erkrankung. Und doch führen weit verbreitete Beschwerden wie innere Unruhe, Unsicherheit, Selbstzweifel, Schlafstörungen und Erschöpfungszustände gerade im Anfangsstadium der Autoimmunerkrankung häufig zu entsprechenden Fehldiagnosen ( Angststörung, Burnout, Depression).


Dieser Artikel wurde grundlegend aktualisiert und deshalb am 25.05.23 neu veröffentlicht.